Ludwig Richter. 403
noch fortlebte; niemand hätte erraten, daß Richter katholisch erzogen war
und erst als Mann, dann freilich mit andächtigem Entzücken, die unver—
fälschte Bibel kennen gelernt hatte. Die drolligen Philister seiner Heimat
gelangen ihm immer, auch die Weiber und Kinder, die Engel und die
Gnomen, seltener die kräftigen Männer, nun gar an die Heldengestalten
unserer erhabenen Dichtung durfte er sich nicht heranwagen; das Kostüm
beachtete er wenig, aber gern stellte er seine unschuldigen Menschen mitten
hinein in eine anmutige Landschaft oder ließ den Rauch aus dem Schorn—
stein des befriedeten Hauses sich hell abheben vom dunklen Tannenwalde
dahinter. Der Beifall wuchs; in den fünfziger Jahren lagen Richters
Holzschnitte fast auf jedem deutschen Familientische, strenge Kunstgelehrte
schrieben Abhandlungen über seine Entwicklung, die Sammler drängten sich
um jedes Blatt, das er irgend einmal für ein Kommersbuch, einen Volks—
kalender, eine Märchensammlung gezeichnet hatte. So lebte er von Haß
und Neid ganz unberührt, ein geliebter Hausfreund seines Volks, und
noch im hohen Alter schritt er täglich, froh bewegt, seines Gottes voll,
hinauf nach dem Waldrande über seinem Loschwitzer Weinbergshäuschen,
um sich der lieblichen Landschaft zu erfreuen. Er bemerkte nicht mehr,
daß noch bei seinen Lebzeiten der Kunstgeschmack dieses rastlosen Jahr—
hunderts sich schon wieder veränderte. Das Geschlecht, das sich an Richters
frommer Einfalt erbaute, war reich an literarischen und politischen Ge—
danken, doch in seinen Lebensgewohnheiten noch sehr bescheiden; nachher
wuchsen mit dem Wohlstande die Genußsucht, die Ansprüche an das Leben,
der Drang nach sinnlicher Fülle des Daseins, und die verwandelte Zeit
begann den unschuldig gemütlichen Idealismus langweilig und leer zu
finden. Die Freude an Richters Holzschnitten verschwand zusehends —
für lange, vielleicht für immer; denn in dem launischen Geschmackswechsel
eines übersättigten Zeitalters können wohl elegante Kunstwerke, wie die
so lange mißachteten Gemälde Watteaus wieder zu Ehren kommen; die
genügsamen Menschen aber, die sich an den Kinderbildern des Dresdener
Zeichners ergötzten, kehren so leicht nicht wieder.
Über die idealistischen Anfänge unserer neuen Malerei sagte Schnorr
einst: Wir hatten damals vollauf zu tun, um nach den Grundanschau-
ungen der alten großen Meister des fünfzehnten Jahrhunderts wieder ar-
beiten zu lernen; „es war uns unmöglich, alles auf einmal zu leisten,
und wir glaubten die Weiterführung, namentlich die Ausbildung der Tech-
nik in demselben Geiste, den Nachkommenden überlassen zu können.“ Aber
alle Kunst ist Können, sie darf die Technik nicht als ein Beiwerk ansehen,
das auch wegbleiben kann. Unsere Malerei bedurfte eines Künstlers, der,
kräftiger als die Düsseldorfer, mit unerbittlichem Ernst, mit der Hand
und dem Herzen zugleich die Wahrheit, nichts als die Wahrheit suchte
und doch durch poetische Erfindsamkeit so hoch stand, daß ihn niemand
wie einen Handwerker geringschätzen durfte. So, als ein Bahnbrecher
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