468 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft.
zolls, da weder England noch Rußland noch Schweden den preußischen
Hof ernstlich unterstützte, und mit wiehernder Schadenfreude begrüßten
die stammverwandten Hansen das Mißgeschick ihrer Konkurrenten an der
Ostsee. —
Angesichts dieser geringen Erfolge der auswärtigen Verhandlungen
verschärfte sich unausbleiblich der wirtschaftliche Parteikampf im Innern.
Der Zollverein mußte jetzt seine Feuerprobe bestehen. Alle Krisen, die
er späterhin noch überdauern sollte, wurden veranlaßt oder doch gefördert
durch die politischen Hintergedanken der nach Österreich hinüberschauenden
Mittelstaaten. Die erste und schwerste Krisis aber kam aus dem Volke.
Abel mitsamt seinen ultramontanen Genossen hätte sicherlich den natio-
nalen Handelsbund gern zerstört, es gelang ihm auch, den trefflichen, in
Preußen beliebten Generalzolldirektor Bever zu beseitigen; König Ludwig
jedoch gebot ihm Halt. Der Wittelsbacher blieb selbst in diesen Tagen
seiner klerikalen Träume immer gut deutsch gesinnt, er zeigte sich durchaus
versöhnlich und sagte zu dem preußischen Gesandtschaftsvertreter: der Zoll-
verein ist unzerstörbar, viel wichtiger als der Deutsche Bund.“) Auch die
anderen Höfe hegten keine feindseligen Pläne, sie wurden nur fortgerissen
durch die ungestümen Wünsche ihrer Fabrikanten. Nord und Süd drohten
sich zu trennen. Zu Preußen hielten alle norddeutschen Zollverbündeten
und Darmstadt, zur Partei des Schutzzolls Baden, Württemberg, Nassau
und — besonnener als die andern — Bayern.
Leider lagen die Dinge so einfach nicht, wie Bodelschwingh annahm,
da er zuversichtlich sagte: das Geschrei nach hohen Schutzzöllen ist künst-
lich erzeugt; bei niedrigen Zöllen und blühenden Finanzen befindet sich
die Mehrzahl des Volkes wohl.*) Der alte Tarif, der im ganzen noch
genügte, schädigte unleugbar einzelne wichtige Gewerbszweige. Am schwer-
sten litt die einst so blühende Leinenindustrie Schlesiens. Früherhin hatten
die fronenden Bauern den Flachs der Rittergüter zu Leinengarn ver-
sponnen. Seit der Aufhebung der Fronden verfiel der Flachsbau, man
suchte sparsam Leinsamen und Flachs zugleich auf demselben Felde zu er-
zeugen, was doch kaum möglich war, und als die unglücklichen Weber nun
diesen schlechteren Flachs auf ihren altväterischen Webstühlen mühsam
verarbeiteten, sahen sie sich plötzlich bedroht durch den überlegenen Wett-
bewerb der mechanischen Spinnerei Englands, die im napoleonischen Zeit-
alter, unter dem Schutze hoher Zölle, mächtig angewachsen war und alle
neuen Erfindungen des Maschinenwesens findig ausnutzte. Zur Zeit, da
das preußische Zollgesetz erschien, beherrschte die deutsche Leinenindustrie
den inländischen Markt noch ganz und die neuen Zölle reichten aus. Bald
wendete sich das Blatt; während die deutsche Ausfuhr sich um volle
*) Küsters Bericht, 18. Dez. 1843.
**) Bodelschwinghs Votum, 19. Nov. 1843.