81. Geschichtliche Entwickelung. 5
der Gesetzgebung nur ein suspensives Veto zustehen, an die Stelle des Oberalten-Collegium's sollte
ein von der Bürgerschaft aus ihrer Mitte gewählter Bürgerausschuß treten.
Diese am 11. Juli 1849 beschlossene Verfassung ist niemals zur Einführung gelangt 1). Der
Rath trug seine Bedenken gegen dieselbe der erbgesessenen Bürgerschaft vor und erwirkte von ihr
die Niedersetzung einer aus neun, theils von ihm selbst, theils von der Bürgerschaft gewählten
Mitgliedern bestehenden Commission, der der Auftrag ertheilt wurde, das von der constituirenden
Versammlung entworfene Verfassungswerk zu prüfen, erforderlichenfalls mit der constituirenden
Versammlung wegen Modifkkationen der Verfassung in Verhandlungen zu treten und wenn diese
Verhandlungen erfolglos blieben, mit ihren eigenen Vorschlägen hervorzutreten. Die constituirende
Versammlung weigerte sich, auf Verhandlungen einzugehen und so sah sich denn die „Neunercom-
mission“ veranlaßt, ihrerseits einen Verfassungsentwurf vorzulegen. Nach dem Scheitern eines ersten
Versuches erlangte ein zweiter Entwurf am 23. Mai 1850 die Genehmigung der Bürgerschaft .
Wenn sich diese Verfassung auch der äußern Form nach als eine Umarbeitung des Verfassungswerks
der constituirenden Versammlung gab, der sie eine große Zahl von Einzelbestimmungen entlehnte,
so knüpfte sie doch in wesentlichen Punkten wieder an die bestehenden Zustände an und bildete so
den Uebergang zu den Verfassungszuständen des Jahres 1859 und der späteren Jahre. Schon
der Name „Freistaat Hamburg“" wurde durch den hergebrachten „die freie und Hansestadt Hamburg“
ersetzt. Zwar wurde der Fundamentalsatz der früheren Verfassung von der, dem Rath und der
Bürgerschaft gemeinschaftlichen Souverainität um seines theoretischen Charakters willen durch die
freilich nicht weniger theoretische Bestimmung des Art. 6:
Die Staatsgewalt wird durch die verfassungsmäßig gewählten Behörden und Vertreter
der Staatsbürger ausgeübt,
ersetzt. Aber es wird doch im Gegensatz zu der Verfassung der constituirenden Versammlung hin-
zugefügt, daß die gesetzgebende Gewalt dem Senat und der Bürgerschaft gemeinschaftlich zustehe.
Die Mitglieder des Senats sollten auf Lebenszeit gewählt werden. Bei ihrer Wahl wurde dem
Senat selbst ein fast gleicher Antheil, wie der Bürgerschaft eingeräumt. Dem Senat wurde zwar
kein absolutes Veto zugestanden, das Uebergewicht der Bürgerschaft in Fragen der Gesetzgebung
aber doch gemindert, indem bei Dissensen dem Senat das Recht der Auflösung der Bürgerschaft
und der letzteren das Recht, sich selbst aufzulösen, zustehen und erst der Beschluß der neuen Bürger-
schaft, wenn derselbe mit dem der aufgelösten übereinstimmt, auch dem Widerspruch des Senats
gegenüber Geltung haben sollte. An die Stelle des persönlichen Stimmrechtes trat das System
der Repräsentation, aber in einer von den Beschlüssen der constituirenden Versammlung erheblich
abweichenden Form. Die aus 192 Mitgliedern bestehende Bürgerschaft sollte zwar zur Hälfte von
sämmtlichen steuerpflichtigen Bürgern, zu einem Viertel aber in Erinnerung an das persönliche
Stimmrecht der Erbgesessenen von und aus den in Stadt und Vorstadt wohnenden Grundeigen-
thümern, deren Grundstücke den auch früher erforderten Werth über die hypothekarische Belastung
haben, gewählt werden. Das letzte Viertel endlich sollte in Anknüpfung an das frühere persönliche
Stimmrecht der Richter, der Mitglieder verschiedener Verwaltungsbehörden und der Aelterleute der
Zünfte von Gerichten, Verwaltungsbehörden und Aelterleuten deputirt werden.
Auch diese Verfassung, welche vor ihrer Einführung erst durch die dazu gehörigen Gesetze
ergänzt werden sollte, ist niemals in's Leben getreten, ja nicht einmal publicirt. Der Widerstand
des Oberalten-Collegium's, dem sich eine, wenn auch nur kleine Partei anschloß, fand auch von
außen eine gewichtige Unterstützung. Im Jahre 1851 erhielt der Senat von Oesterreich und
Preußen eine Aufforderung, die Verfassung einer Prüfung des Bundestages zu unterziehen und
am 27. April 1852 richtete der vom Bundestag niedergesetzte Verfassungsausschuß eine Note an
den hamburgischen Bundestagsgesandten, in der einige Einwendungen gegen die neue Verfassung
erhoben und die Erwartung ausgesprochen wurde, daß durch die Berücksichtigung dieser Einwen-
dungen eine Berichterstattung an den Bundestag und eine Einmischung des letzteren erspart werden
möge. Eine vomhamburgischen Bundestagsgesandten dem Ausschuß übereichte Note vom 12. Juni 1854 3)
beschränkte sich zunächst auf eine Widerlegung dieser Einwendungen. In Folge dessen beantragte
1) Ueber die Verfassungskämpfe in der Zeit der constituirenden Versammlung und nach der-
selben; s. den Aufsatz „Hamburg's Verfassungskämpfe während der letzten zehn Jahre“ in „die
Gegenwart, encyclopädische Darstelung der neuesten Zeitgeschichte, B. 9, p. 397“, ferner „der Ver-
fassungskampf in Hamburg“ in „Unsere Zeit“ Neue Folge 3ter Jahrgang, 2te Hälfte p. 640 und
81 # 5 achariä, die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart p. 1218, lte Fortsetzung p. 230,
te Fortsetzung p.
2) Ein Abdruck dieser Verfassung findet sich als Anlage zu dem Antrag, die Verfassungs-
angelegenheit betreffend, für den Rath= und Bürger-Convent vom 23. Mai 1850. — .
3) Ein Abdruck dieser Note findet sich unter den Anlagen zu der Raths-Proposition für den
Rath= und Bürger-Convent vom 5. Juni 1855 die Verfassung betreffend. —