Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.3. Das Staatsrecht der Freien und Hansestädte Hamburg, Lübeck, Bremen. (7)

40 Klügmann, Das Staatsrecht der freien und Hansestadt Lübeck. 81. 
die Umgestaltung der Stadtverfassung in demokratischem Sinne geschehen lassen, in Lübeck hingegen 
blieb eine durch ihren aristokratischen Charakter ausgezeichnete Verfassung bestehen. Es sind freilich 
auch in Lübeck aufrührerische Bewegungen vorgekommen, aber sie sind zum Heile der Stadt bald 
vorübergegangen, und es ist dem Rathe und dem mit diesem verbundenen Patriziate gelungen, die 
Zügel der Gewalt in seiner Hand festzuhalten. Die zwischen Rath und Bürgerschaft in den 
Jahren 1416 1), 1534 2) und 1535 ) abgeschlossenen Concordate stellten die bisher geltende Ver- 
fassung in ihrem vollem Umfange wieder her. 
Nach dem ältesten über die Rathswahl vorhandenen Statute ), welches schon von Herzog 
Heinrich dem Löwen erlassen sein soll, konnte jeder in den Rath gewählt werden, welcher nicht 
durch ein Handwerk seinen Unterhalt gewann. Persönliche Erfordernisse waren, daß der Betreffende 
in rechter Ehe von einer freien Frau geboren, freien Standes und keines Herren Eigen= oder 
Dienstmann war; er mußte ferner von gutem Leumunde sowie keines falschen Zeugnisses über- 
wiesen sein und freies lediges Eigen in der Stadt haben. Uebrigens galt der Grundsatz, daß nicht 
Vater und Sohn oder zwei Brüder gleichzeitig dem Rathe angehören durften. Der Rath ergänzte 
sich selbst. Wer zwei Jahre ein Amt verwaltet hatte, konnte im dritten darum nachsuchen, von 
demselben entbunden zu werden; er erschien jedoch im Rathe, wenn wichtige Angelegenheiten es 
erheischten. Die Erneuerung des Rathes und die Vertheilung der Geschäfte, die Rathssetzung, fand 
alljährlich am Tage Petri Stuhlfeier (Febr. 22) statt. An der Spitze des Rathes standen zuerst 
zwei, später vier Bürgermeister. Seine Gewalt war Anfangs beschränkt durch einen kaiserlichen 
Vogt, welchem vornehmlich die Handhabung der Gerichtsbarkeit oblag. Der Rath streifte jedoch 
allmählich diese Fessel ab; seitdem hatte er volle obrigkeitliche Autorität. Nach eigenem Ermessen 
leitete er die inneren wie auswärtigen Angelegenheiten, bestimmte über Krieg und Frieden, schloß 
Verträge und Bündnisse; er allein übte die Gerichtsbarkeit, entschied über Leben und Eigenthum 
der Bürger und regelte alle Verhältnisse des städtischen Lebens. Er pflegte freilich, wenn er be- 
sondere Geldleistungen von der Bürgerschaft verlangte, diese zu berufen und ihre Zustimmung ein- 
zuholen, er war aber an ihre Mitwirkung in keiner Weise gebunden und ebenso wenig verpflichtet, 
ihr Rechenschaft abzulegen. 
Seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts vollzieht sich eine Umgestaltung dieses Verhält- 
nisses: die Bürger erlangen zunächst eine Vertretung bei einzelnen Behörden 5) und gewinnen dann 
in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen wesentlichen Einfluß auf die Gesetzgebung selbst. Die 
Bürgerschaft zerfiel damals nach dem Ansehn, welches die einzelnen Genossenschaften hatten, in 
zwölf Corporationen. Es waren dies die Zirkelgesellschaft, die Compagnien der Kaufleute, der 
Schonenfahrer, der Novgorodfahrer, der Bergenfahrer, der Rigafahrer, der Stockholmfahrer, der 
Gewandschneider und der Krämer, die Brauerzunft, die Schiffergesellschaft und endlich die Aemter 
der Handwerker. Unter den letzteren hatten die der Schmiede, Schneider, Bäcker und Schuhmacher 
die größte Bedeutung, es waren die sogenannten großen Aemter, und war einem jeden von ihnen 
eine Anzahl der kleineren als der zugehörigen Aemter beigeordnet. Diesen zwölf Corporationen 
wurde nun als Vertretern der gesammten Bürgerschaft durch den sogenannten Cassareceß vom 
26. Juli 1665 und durch den Receß vom 9. Januar 1669 6) die Theilnahme an den öffentlichen 
Angelegenheiten gewährleistet. 
In dem ersteren gestand der Rath die Errichtung einer allgemeinen Kasse, der Stadtkasse, 
zu, welche von zwei Mitgliedern des Rathes und von vier und zwanzig aus den bürgerlichen 
Collegien erwählten Bürgern, von welchen letzteren zur Zeit immer je vier in Funktion wären, 
verwaltet werden sollte, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß dabei die Verfassung der 
Stadt und die regiminellen Befugnisse des Rathes in vollem Umfange erhalten blieben. Indessen 
sollten in Zukunft die Angelegenheiten, welche den Handel, die Finanzen oder andere wichtige In- 
teressen der Stadt berührten, der Bürgerschaft vorgelegt werden, und der Rath alsdann gemeinsam 
mit der Majorität der votirenden Collegien seinen Beschluß fassen. 
Die Irrungen und Streitigkeiten, deren Beilegung durch diesen Vergleich beabsichtigt war, 
dauerten jedoch fort, und der Rath mußte sich deswegen entschließen, in eine weitere Verkürzung 
1) Lüb. U. B. 5, n. 583. 
2) Lünig, Reichsarchiv, T. spec. Cont. IV. 1. Th. S. 1356. 
3) Moser, Reichsstädtisches Handbuch, 2 S. 173. 
4) Lüb. U. B. 1, n. 4. 
5) Es geschah zuerst bei der Verwaltung der beiden großen milden Stiftungen der Stadt, 
des Heiligen Geist= und des St. Jürgenhospitals: der Receß vom 5. Mai 1602 räumte den Bürgern 
die Theilnahme an derselben ein. 
6) J. R. Becker, Geschichte der Stadt Lübeck, 3, Beilage 1. Der Receß enthält transsumirt 
den Cassareceß. Rescript Kaiser Leopold's I. vom 23. Oct. 1670 über Abänderung des Recesses in 
Betreff der Rathswahl, ebend. Beilage 2.
	        
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