Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.3. Das Staatsrecht der Freien und Hansestädte Hamburg, Lübeck, Bremen. (7)

42 Klügmann, Das Staatsrecht der freien und Hansestadt Lübeck. 81. 
Hierüber waren die Ansichten in der Commission sehr verschieden: die Frage ward nur mit einer 
geringen Majorität verneint. Die Commission trennte sich deshalb nach Maßgabe der Stellung, 
welche ihre einzelnen Mitglieder jener Frage gegenüber eingenommen hatten, in zwei Sectionen, 
und jede von diesen entwarf nun in ihrem Sinne eine Verfassung. Von den beiden vorgelegten 
Plänen vermochte aber keiner eine ansehnliche Majorität für sich zu gewinnen: von den Mitglie- 
dern der Commission stimmten elf für den Entwurf der zweiten Section, welcher eine Repräsentation 
der Bürgerschaft durch nach Ständen gewählte Vertreter in Antrag brachte, während die acht 
übrigen Mitglieder bei ihrer Ansicht beharrten, daß eine Neorganisation der Bürgerschaft auf Grund- 
lage der bisherigen Collegialverfassung geschehen müsse. 
In Folge dieser Divergenz der Meinungen trug die Commission auf höhere Entscheidung 
der Frage an: auf welche Basis der Plan zu einer veränderten Verfassung der Bürgerschaft be- 
gründet werden solle, worauf ihr im October 1846 die durch Rath und Bürgerschluß festgestellte 
Instruction ertheilt ward, daß sie ihren ferneren Arbeiten, soweit sie eine Reform der Verfassung 
der Bürgerschaft beträfen, das Princip der Ausübung des bürgerschaftlichen Stimmrechtes durch 
von den Bürgern nach gewerblichen Ständen gewählte Vertreter zu Grunde zu legen habe. 
Nach Maßgabe dieser Entscheidung arbeitete die Commission den Entwurf einer Verfassung 
aus. Es ward das Princip einer Vertretung nach fünf gewerblichen Ständen zur Grundlage ge- 
nommen, welche ihre Thätigkeit theils in ihrer Gesammtheit, theils durch einen Ausschuß ausüben 
sollte. Ferner wurde namentlich eine Umgestaltung der Gerichtsverfassung in Anrege gebracht und 
zwar unter Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, sowie auf Grundlage eines öffentlichen 
und mündlichen Verfahrens, endlich der Bürgerschaft die Mitwirkung an der Wahl der Senats- 
mitglieder eingeräumt und festgestellt, in welcher Weise bei beharrlicher Meinungsverschiedenheit 
zwischen dem Senate und der Bürgerschaft verfahren werden solle. Am 17. März 1848 hatte die 
Commission ihre Arbeiten vollendet, und der Senat befand sich somit gegenüber der Bewegung, 
welche überall in Europa in den Märztagen zum Ausbruche kam, in der glücklichen Lage, der 
Bürgerschaft sofort einen mit Ruhe und Umsicht ausgeführten Entwurf einer neuen Verfassung 
vorlegen zu können. Der Senat nahm seinerseits von allen Anträgen auf Abänderung des Ent- 
wurfes Abstand und brachte die unbedingte Annahme desselben bei der Bürgerschaft in Vorschlag. 
Am 8. April erklärte die letztere ihre Zustimmung zu der neuen Verfassung, jedoch unter 
der Voraussetzung, daß die Zahl der Vertreter des Standes der Kaufleute zu Gunsten des Standes 
der Gewerbtreibenden vermindert werde. Auf diese Modifikation ging der Senat ein, und noch an 
demselben Tage ward der Verfassungsentwurf zum Grundgesetze des lübeckischen Staates erklärt 7). 
Die Ereignisse des Jahres veranlaßten jedoch alsbald eine Revision. Es kam die revidirte 
Verfassung vom 30. December des Jahres zu Stande, welche die bisherige Unterscheidung zwischen 
Bürgern und Einwohnern beseitigte, die Erwerbung des Bürgerrechts auch Nichtchristen gestattete 
und die Wahl zur Bürgerschaft nach Ständen durch Verleihung des allgemeinen Wahlrechtes an 
die Bürger ersetzte ). 
Durch den Rath= und Bürgerschluß vom 14. Juni 1851 wurde dann die in der Verfassung 
vom 8. April 1848 in Aussicht genommene Umgestaltung des Gerichtswesens herbeigeführt, im 
Zusammenhange hiemit die Verwaltung vereinfacht und die Zahl der Mitglieder des Senates auf 
vierzehn festgestellt ). Hieran schloß sich im October des Jahres die Aufhebung der in Frankfurt 
proklamirten Grundrechte des deutschen Volkes für den lübeckischen Freistaat"“). Diese Veränderungen 
machten eine neue Redaction des öffentlichen Rechtes nothwendig, und es ward somit die Verfassung 
vom 29. December 1851 abgeschlossen 5). Sie bildet den Schlußstein des Reformwerkes, welches 
aus dem einmüthigen Zusammenwirken von Senat und Bürgerschaft hervorgegangen war. 
In Folge der Neugestaltung der deutschen Verhältnisse und in Rücksicht auf die Reichs- 
gesetzgebung erfolgte im Jahre 1875 abermals eine Revision der Verfassung. Die Grund- 
lagen der Verfassung vom 29. December 1851 blieben dabei unverändert. 
Die neue Redaction ward am 7. April 1875 von beiden Staatskörpern genehmigt 
und trat am 1. Mai des Jahres zugleich mit sieben auf die Ausführung einzelner Artikel 
bezüglichen Gesetzen, Bekanntmachungen und Regulativen in Kraft). Es ist die Verfassung, 
welche noch heute Geltung hat. 
1) Lüb. Verordn. 1848, S. 23 ff. 
2) Ebd. S. 186 fe 
3) Vgl. Verhandl. d. Senates mit der Bürgerschaft, 1851. 
4) Lüb. Verordn. 1851, S. 64. 
5) Ebd., 1852 S. 2 
6) Ebd., 1875 S. 10 ff.
	        
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