Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.3. Das Staatsrecht der Freien und Hansestädte Hamburg, Lübeck, Bremen. (7)

68 Sievers, Das Staatsrecht der freien Hansestadt Bremen. 81. 
schaftsgrade. In wie weit der Rath der Bürgerschaft eine Mitwirkung am Regimente einräumen 
will, ist in sein eigenes Ermessen verstellt. Die „neue Eintracht" 1) bestimmt, daß der Rath „falls 
es ihm nöthig erscheine mit mehr Leuten Rücksprache zu nehmen, aus der Gemeinheit, den Kauf- 
leuten und den Zünften, dazu fordern und einladen lassen möge, welche ihm, dem Rath, die Ver- 
ständigsten und Tüchtigsten dünken, und sonst nach dem Wohlstande unserer guten Stadt, nach Liebe, 
Eintracht und Frieden trachten."“ 
Aber diese unbeschränkte Gewalt fand in Händen weiser, auf das gemeine Wohl bedachter 
Männer eine milde Anwendung und im Laufe der Zeiten hatten sich durch Observanz für die Er- 
ledigung aller wichtigeren Angelegenheiten bestimmte Formen der Mitwirkung der Bürgerschaft 
herausgebildet, die wohl kaum unter Berufung auf den Buchstaben des Gesetzes hätten umgangen 
werden dürfen. Den größten Einfluß besaß die durch das collegium seniorum (Aeltermänner) 
wohlorganisirte Kaufmannschaft, deren Gedeihen mit der Blüthe der Stadt identisch war. Die 
Altermänner galten in gewissem Sinne als Repräsentanten der gesammten Bürgerschaft; an sie 
gingen alle Schriftstücke in den zur Berathung der Bürgerschaft gelangenden Sachen. Die Bürger- 
schaft selbst versammelte sich in mehreren „Conventen“, für welche die örtliche Eintheilung der 
Kirchspiele maßgebend war2). Geladen wurden: Die Gelehrten, die Aeltermänner und] aus den 
Kaufleuten, den Zünften und der Gemeinheit diejenigen, welche das sog. „größere Bürgerrecht"“ be- 
saßen und ein Vermögen von wenigstens 3000 Thlr. hatten. Auf dem Gebiete der Gesetzgebung 
und der Finanzverwaltung galt thatsächlich nur der übereinstimmende Beschluß von Senat und 
Bürgerschaft als Willensakt des Staates. Daneben hatten einzelne vom allgemeinen Vertrauen 
bezeichnete Bürger als Mitglieder der sog. „Deputationen“ — von Senat und Bürgerschaft be- 
schickte Ausschüsse zur Erledigung eines bestimmten dauernden oder vorübergehenden Auftrages — 
einen wichtigen und einflußreichen Antheil am Regiment. 
Als nach dem Ende der französischen Herrschaft der Senat wieder in Funktion trat, machte 
sich der Wunsch geltend, das Verfassungsrecht einer neuen Codification zu unterziehen, um sowohl 
die bereits in Uebung befindlichen Abweichungen von dem geschriebenen Rechte gesetzlich zu fixiren, 
als auch andere zeitgemäße Reformen einzuführen. Auf einigen Gebieten des öffentlichen Rechts 
ergingen denn auch Specialgesetze, das Verfassungswerk aber zog sich in den Berathungen zwischen 
Senat und Bürgerschaft außerordentlich in die Länge 3). Ein neuer Anlauf, der 1831 gemacht 
ward, blieb ebenfalls resultatlos. Und so fanden die politischen Stürme des Jahres 1848 den 
alten Bau noch vor, um ihn gründlich zu zerstören. 
Am 8. März 1848 richtete eine große Anzahl Bürger eine Eingabe an den Senat, welche 
in energischen Ausdrücken forderte, es solle unverzüglich eine auf den Grundlagen gleicher Wahl- 
fähigkeit und Wählbarkeit beruhende Vertretung sämmtlicher Staatsbürger geschaffen, und mit der- 
selben die Verfassung alsbald definitiv festgestellt werden. Daneben ward die Oeffentlichkeit der 
Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, Freigebung der Presse, Oeffentlichkeit und Münd- 
lichkeit des Gerichtsverfahrens, Trennung der Justiz von der Verwaltung, Einführung von Ge- 
schwornen-Gerichten dringlich verlangt"). Der Senat willfahrte alsbald sämmtlichen Anträgen. 
Die Wahlen wurden in örtlichen Bezirken durch alle Staatsbürger vorgenommen und am 19. April 
fand die erste „Versammlung der Repräsentanten der bremischen Staatsgenossen“ statt 5). Die 
„Bürgerschaft“ in diesem Sinne erklärte sich alsbald „nicht bloß für berufen zur definitiven Fest- 
setzung der Verfassung, sondern auch bis dahin, daß diese Festsetzung erfolgt sein wird — als mit 
dem Senat die einzige gesetzliche Vertretung der souveränen Gemeinheit des bremischen Freistaates — 
für competent zur gleichberechtigten Mitwirkung mit dem Senat in der Gesetzgebung, in der Ver- 
waltung des Staatsvermögens, in der Ordnung aller wichtigen Staatsangelegenheiten im innern 
und nach außen“ 5). 
Eine Reihe besonders dringlich verlangter Reformen ward nunmehr sofort eingeführt und 
auch die Vereinbarung der Grundgesetze verhältnißmäßig rasch gefördert?). Am 21. März 1849 
ward die neue Verfassung des bremischen Staats publicirt und am 2. April acht organische Gesetze 
  
1) Oelrichs I. c. II, p. 782. 
2) Erst 1818 nöthigte der Mangel an reger Betheiligung zur Einführung von Plenarver= 
sammlungen. Verordn. in Betr. des Besuchens der Bürgerconvente v. 14. Dec. 1818, Samml. p. 44. 
3) Verhandlungen über die Verfassung der freien Hansestadt Bremen. Bremen 1818. 
4) Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1848 p. 113 f. 
5) Dieser langatmige Titel ward fernerhin auch officiell nicht mehr gebraucht. Man über- 
trug die für die alten Bürgerconvente mik ihren Virilstimmen gewohnte Bezeichnung der „Bürger- 
schaft" auf die neue repräsentirende Versammlung. 
6) Verhandl. p. 126. 
7) Protocolle der Verfassungs-Deputation. 2 Bände. Bremen 1848 und 1849.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.