89. Das Finanzwesen. 127
§ 9. Das Finanzwesen. I. Grundlagen und äußere Gestaltung des Landes-Finanz-
wesens. A. Zwei Vermögen, a, das Cammergut und b, der Kloster= und Studien=
fonds, bilden neben c, dem eigentlichen Staatsvermögen, von diesem und
unter sich factisch und rechtlich getrennt, als Finanz vermögen Grundlagen des Landes-
finanzwesens.
a) Das Cammergut diente mit seinen Einkünften „von jeher“ dem Bedarfe des
Landesfürsten und des Landes.
Bis zum Erlaß der N.L.O. bestand auf der Grundlage der Cammerkasse, in welche
die Einkünfte aus dem Cammergute in Verbindung mit eigentlichen Staatseinnahmen (indirecten
Steuern, Gebühren u. s. w.) floßen, eine Gemeinschaft des Fürstlichen und Domanialhaushalts
einerseits und eines Theils des Staatshaushalts, insbesondere auch desjenigen, welcher sich auf
Rechtspflege und Landespolizei bezog, andererseits, ohne daß den Landständen eine Mitwirkung
bei Feststellung des, wichtige Seiten der eigentlichen Staatsverwaltung umfassenden Etats der
Cammerkasse zugestanden hätte. Der § 161 der N.L.O. stellte den Grundsatz der Trennung
jener Gemeinschaft auf. Damit war aber auch eine Scheidung der bisher ungetrennten Nutzung des
Cammergutes für den Bedarf des Landesfürsten und für Staatszwecke geboten. Verschiedenen Vor-
schlägen und langen Verhandlungen folgte die Lösung der Fragen in den §161—172 der N.L.O. und
in einer daneben getroffenen, ihrem inneren Wesen nach dem öffentlichen Rechte angehörenden, ohne
Beschränkung der Dauer ihrer Gültigkeit auf verfassungsmäßigem Wege zwischen „H. Landesregierung
und den Ständen“ geschlossenen Vereinbarung, dem später mit dem L. A. vom 25. Mai 1835 Nr. 35
publicirten Finan znebenvertrage vom 12. October 1832. Die Lösung berührt die Frage des
Eigenthums am Cammergute, über welche auch früher nichts vereinbart worden ist, nicht.
„Die bisherigen Rechtsverhältnisse des Cammergutes und namentlich die Bestimmungen des Edicts
vom 1. Mai 1794 bleiben unverändert.“ (N.L.O. § 164.) Das citirte Edict, erlassen auf Grund
einer Vereinbarung mit den Ständen, führt im Interesse der „Staatswohlfahrt“ eine strenge,
von dem Grundsatze der Schuldentilgung aus Einkünften, nicht aus der Substanz ausgehende,
Landesfürstlicher Willkühr entzogene, der Mitwirkung der Stände einen bestimmenden Einfluß
gewährende Ordnung des Cammerschuldenwesens ein, läßt Veräußerungen von Cammergut nur
unter bestimmten Voraussetzungen, namentlich gegen Aequivalente, zu, trifft also nicht direct An-
ordnungen bezüglich der rechtlichen Natur des Cammergutes, „erkennt aber entschieden die Ver-
pflichtung des Cammergutes zur Bestreitung der Landesbedürfnisse an 1)". Da die in Betracht
kommenden Bestimmungen des Edicts in die neuere Gesetzgebung übergegangen, so bedürfen sie
hier nicht weiter der Berücksichtigung.
Nach § 164 der N.L.O. soll das Cammergut in seinem Bestande fortwährend er-
halten, Reinerträge desselben sollen „wie bisher zur Bestreitung der Bedürfnisse des
Fürsten und des Landes verwendet werden". (N.L.O. § 167.) „Der Bedarf des Landes-
fürsten und seines Hauses haftet“ in Gestalt einer ihrer Höhe nach durch den
Finanznebenvertrag fest bestimmten Summe „zunächst und zuvörderst
auf dem Reinertrage des Cammergutes“. (Siehe oben § 4, VI.) Der Rest des Reiner=
trages fließt, ebenso wie die nicht aus dem Cammergute selbst entstehenden, früher der
Kammerkasse zugeführten Einnahmen, in die Centralkasse des Staates, die Haupt-Finanz=
Kasse. (N.L.O. §§ 169, 172.) Die Verwaltung des Cammergutes liegt unter dem Lan-
desfürsten staatlichen Organen ob.
Der jetzige Bestand des Cammergutes ist in Rücksicht auf die verfassungsmäßigen
Befugnisse der Landesvertretung in zwei Hauptbestandtheile zu zerlegen: 1) das unbe-
wegliche Vermögen (Domänen, Forsten rc.), herrührend in wesentlichen Theilen aus dem
alten Stammgut der fürstlichen Familie, im Laufe der Zeit vermindert durch Veräuße-
rungen, vermehrt durch Erwerbungen, darunter die Einverleibung der Güter von auf
Grund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 aufgehobenen Stiftern und Klöstern
(N.L.O. 88 162, 163), 2) den Cammerkapitalfonds (§ 6 G. v. 20. December
1834 Nro. 3 de 1835), der wiederum zerfällt c. in den älteren, seit 1832 besonders
durch die Ablösungen herrschaftlicher Zehnten, Dienste u. s. w. angewachsenen Theil,
b. einen neueren Theil, welcher aus dem Verkaufe von Brannkohlenwerken herrührt.
(Art. 11 des L. A. vom 12. Juni 1874 Nro. 31 2).)
1) Die letzten Worte finden sich auch in F. A. Zachariä St. N. Bd. II. § 209 Anm. Lunter 9.
2) Die Kammerschulden sind mit Ausnahme einiger unablösbaren sämmtlich, und zwar durch