8 6. Gemeindeverfassung. 143
durch Verleihung erworben. Ein Recht auf diese Verleihung haben solche männliche Gemeinde—
Angehörige, welche geschäftsfähig, 25 Jahr alt, im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind, und
außerdem einen gesetzlich festgestellten Mindestbetrag an Staatsstener, sei es von Grundstücken
im Bezirk, sei es vom Einkommen, entrichten.
III. Dorfgemeinden. In den Dörfern wird der Gemeindevorstand aus dem
Schulzen und zwei Schöppen gebildet, welche gewählt und von der Aufsichtsbehörde be-
stätigt werden; der Schulze hat eine ähnliche Stellung, wie der Bürgermeister in der
Stadt; Besoldung ist zulässig, aber nicht nothwendig.
Alle wichtigeren Gemeindeangelegenheiten gehören vor die Gemeindeversammlung,
an deren Stelle in Dörfern über 300 Einwohner ein Gemeinderath treten kann, der dann
von den wahlberechtigten Gemeindeangehörigen gewählt wird. Für die Wähblbarkeit be-
stehen ähnliche Voraussetzungen, wie in den Städten, namentlich ein bestimmter Census.
Die Abstimmung in der Gemeindeversammlung und die Wahl zum Gemeinderathe
erfolgt nach Abtheilungen, welche nach ähnlichen Grundsätzen, wie dies in Preußen bei
den Wahlen der Stadtverordneten und zum Landtage erfolgt, gebildet werden.
Die Staatsaufsicht über die Verwaltung der Stadt= und Landgemeinde wird
in den größeren Städten von der Regierung, im Uebrigen von den Kreisdirektionen geübt.
IV. Landarmen-Verband. Neben der den Gemeinden obliegenden Ver-
waltung des Armenwesens besteht eine „Landarmen-Direktion“, welche mit einem
„Landarmenfonds“ aus Staatsmitteln dotirt ist und für sogenannte „Landarme“ und
da eintritt, wo die Gemeinden übermäßig belastet werden würden. Die Behörde setzt
sich aus Staatsbeamten und von den Kreisen gewählten Deputirten zusammen; ihr Etat
wird vom Landtage festgestellt. Sofern ihre Mittel nicht ausreichen, kann sie allgemeine
Kreissteuern ausschreiben, ist aber dieserhalb von der Genehmigung des Landtags abhängig.
Unter ihrer Verwaltung steht insbesondere eine große Landes-Irren= und eine Landes-
Siechen-Anstalt.
V. Kreise. Anhalt ist in fünf Kreise eingetheilt, welche das Gesetz als Kommu-
nalverbände mit den Rechten einer Korporation bezeichnet, und denen es die Selbstver-
waltung ihrer Angelegenheiten unter Aufsicht des Staates einräumt. Sie haben insbe-
sondere die Befugniß der Besteuerung der Kreisangehörigen. Angehörige des Kreises sind
diejenigen, die innerhalb desselben ihren dauernden Wohnsitz haben.
Welche Angelegenheiten „Kreiskommunalsachen“ sind, wird entweder durch Gesetz
oder durch ein von den Kreisen errichtetes und von der Aufsichtsbehörde genehmigtes
Statut bestimmt.
Die Organe des Kreises sind der Kreisdirektor, der Kreisausschuß und der Kreistag.
Der Kreisdirektor ist ein vom Herzog ernannter Staatsbeamter und mit vollem
Stimmrecht Vorsitzender im Kreistag und im Kreisausschuß.
Der Kreistag besteht aus Vertretern des großen Grundbesitzes und zwar
a) der herzogl. Fideikommißgrundstücke,
b) der Rittergüter und der sonstigen größeren Grundbesitzungen,
sowie aus Vertretern der Stadt= und Landgemeinden.
Der Herzog ernennt seine Vertreter, die Grundbesitzer wählen in Abtheilungen.
Die Wahl der Mitglieder für die Landgemeinden erfolgt durch Wahlmänner, welche
von den Gemeindeversammlungen oder Gemeinderäthen zu wählen sind; die für die Städte
durch die Gemeinderäthe. Annahme der Wahl ist Pflicht.
Der Kreisausschuß besteht aus dem Kreisdirektor mit vier Kreisdeputirten und
wird vom Kreistag gewählt; er stellt den Etat auf, prüft die Jahresrechnung und revi-
dirt die Kreiskommunalkassen.
Thatsächlich sind es vorzüglich die öffentlichen Wege außerhalb der Ortschaften,
welche den Kreisen als Gegenstände der Selbstoerwaltung überwiesen worden sind. Eigent-