158 Böttcher, Das Staatsrecht des Fürstenthums Waldeck. 85.
nach ihrer freien Ueberzeugung stimmen und an Aufträge und Instructionen nicht gebun—
den sind. In Bezug auf den Schutz der parlamentarischen Redefreiheit hat die waldeck'
sche Verfassung wörtlich den §& 120 der Reichsverfassung von 1849, wie er auch al:
Art. 30 in der heutigen Reichsverfassung enthalten ist, übernommen, jedoch Majestätsbe
leidigungen, Beleidigungen gegen den Bundestag und Privatinjurien von der Verfolgungs
freiheit ausgenommen. Diese Ausnahme ist erst durch § 11 des Reichsstrafgesetzbuche
beseitigt worden. Eine Immunität der Abgeordneten wegen außerhalb der Stände
versammlung begangener mit Strafe bedrohter Handlungen während der Sitzungsperiode
kennt die waldeck'sche Verfassung nicht. — Die Abgeordneten erhalten aus der Staatskasseo
Diäten, auf welche nicht verzichtet werden darf.
Die Controle durch die Volksvertretung allein ist als eine ausreichende Gewähr
für ein gesichertes constitutionelles Staatsleben nicht betrachtet worden; man hat noch
nach anderweitigen Garantien der Verfassung gesucht.
Als solche ist vor Allem der Verfassungseid zu nennen. Der Fürst bezw. der Re-
gent hat sofort beim Regierungsantritt eidlich zu geloben, die Verfassung fest und nnver-
brüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren.
Zur Zeit ist das Gelübde freilich zu einem großen Theile gegenstandslos. Der Fürst kann
zwar vermöge seines Zustimmungsrechts zu Gesetzen und Verfassungsänderungen, eine der Ver-
fassung zuwiederlaufende Gesetzgebung verhindern, dagegen ist er auf die Regierung ohne Einfluß:
denn diese liegt in der Hand des Königs von Preußen. Ueber eine entsprechende Verpflichtung
des letzteren auf die waldeck'sche Verfassung ist in dem Accessionsvertrage nichts bestimmt.
Der Verfassungseid ist ferner auch für die Mitglieder des Landtags vorgeschrieben.
Jeder Abgeordnete legt bei seinem Eintritt in den Landtag einen Eid ab, dem Fürsten
Treste zu leisten und die Verfassung gewissenhaft zu beobachten und aufrecht zu erhalten.
Endlich haben nicht nur die verantwortlichen Mitglieder der Staatsregierung, sondern
auch alle anderen Staatsdiener die Verfassung gewissenhaft zu beobachten und deren genaue
Einhaltung im Diensteide ausdrücklich zu geloben. — Eine weitere Garantie liegt in der
Bestimmung, nach welcher für Abänderungen, Erläuterungen und Ergänzungen der Ver-
fassung zwei durch einen Zwischenraum von mindestens 3 Tagen getrennte Lesungen und
jedesmal die Annahme von Zweidrittelmajorität erfordert wird.
§ 5. Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen. Die verfassungsrechtliche Stellung
der Staatsangehörigen ist in der Verfassungsurkunde vom 17. Aug. 1852 im
Wesentlichen in gleicher Weise geregelt wie in Tit. II. der preußischen Verfassung vom
31. Jan. 1850. Freilich ist die Redaction ungleich knapper, da das Ueberflüssige und
Selbstverständliche meistens bei Seite gelassen ist. Im Uebrigen ist gerade auf dem Ge-
biete der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten die Competenz der Landesgesetzgebung
durch das Reich in so bedeutendem Umfange verdrängt worden, daß die meisten der hier
in Rede stehenden Bestimmungen veraltet sind. Dies gilt, was die Rechte anlangt, be-
sonders von den Garantien der Freiheit der Person, der Freiheit der Meinungsäußerung,
der Freiheit in der Wahl des Wohnsitzes und des Berufs; es gilt auf dem Gebiete der
Pflichten vor Allem von der Wehrpflicht. An die Spitze des von den Staatsangehörigen
handelnden Titels stellt die waldeck'sche Verfassung den Satz: „Die Rechte und Pflichten
werden durch die Verfassung und die bestehenden Gesetze geregelt.“ Zweck dieses Satzes
ist, den Charakter des Rechtsstaates zu deutlichem Ausdruck zu bringen. Die besondere
Hervorhebung der Gleichheit aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze sowie der Unstatt-
haftigkeit von Standesvorrechten fehlt in der waldeck'schen Verfassung. Durch die Aus-
schließung der Patrimonialgerichte, des privilegirten Gerichtsstandes und der Steuerbe-
vorzugungen, sowie durch andere Bestimmungen der Verfassung ist in dieser Beziehung
vollständige Garantie geboten. Die Sicherheit des Eigenthums ist gewährleistet durch
den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Eigenthums und die Bestimmung, daß eine Ent-