8 5. 6. Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen. — Behördenorganismus. 159
eignung nur auf Grund des Gesetzes und gegen Entschädigung vorgenommen werden
kann. Für die Freiheit des Eigenthums sorgen die Bestimmungen, daß die aus dem
guts- und schutzherrlichen Verbande fließenden persönlichen Pflichten und Rechte, ferner
das Recht der Jagd auf fremdem Grund und Boden als Grundgerechtigkeit aufgehoben,
alle auf dem Grund und Boden haftenden Abgaben aber — mit Ausnahme der Steuer—
belastung der Grundstücke —, sowie der Lehnsverband ablösbar sind.
Die Staatsangehörigen haben „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.“ Der Ge—
nuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte wird durch das religiöse Bekenntniß
weder bedingt noch beschränkt; den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe aber keinen
Abbruch thun. In Bezug auf die Ausübung des religiösen Bekenntnisses unterscheidet
sich die waldeck'sche Verfassung von Art. 12 der preußischen dadurch, daß sie zwar gleich
dieser die Freiheit der häuslichen Religionsübung unterschiedslos gewährleistet, nicht aber
die der öffentlichen. Die Staatsangehörigen sind berechtigt, sich zu Religionsgenossen—
schaften zu vereinigen, denen die gemeinsame Religionsübung zusteht, jedoch ohne öffent—
lichen Charakter, falls sie keine Korporationsrechte besitzen.
Alle Staatsangehörigen haben das Recht, unter Einhaltung des gcordneten In-
stanzenzuges sich mit Bitten und Beschwerden schriftlich an die Behörden und die Landes-
vertreter zu wenden. Ist auf diese Weise das Petitionsrecht gegen jeden Zweifel sicher
gestellt, so läßt sich nicht ein Gleiches von dem Vereins= und Versammlungsrecht sagen.
Im § 29 der V. U. heißt es: „Nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen dürfen
..... die Staatsangehörigen in dem Rechte, zu erlaubten Zwecken sich zu versammeln und
Vereine zu bilden, beschränkt werden.“ Das Recht, sich zu allen nicht gesetzlich verbotenen Zwecken
zu versammeln bezw. zu Vereinen zusammen zu thun, ist also ausdrücklich anerkannt; die Frage
kann nur sein, welches die gesetzlich bestimmten Fälle und Formen sind, in denen dasselbe be-
schränkt werden darf. §5 100 der V. U. bestimmt: „Zu den nach § 29 erforderlichen Gesetzen
sollen die Entwürfe womöglich schon dem nächsten, jedenfalls aber dem darauf folgenden ordent-
lichen Landtage vorgelegt werden.“ In Beziehung auf das Vereins= und Versammlungswesen
ist indeß dem Landtage seitdem eine Vorlage nicht gemacht worden. Zwar ist der Beschluß des
Bundestags vom 13. Juli 1854 wegen des Vereinswesens durch Erlaß der waldeck'schen Regierung
vom 25. Nov. 1854 bekannt gemacht, aber die in &§ 2 und 7 dieses Beschlusses in Aussicht ge-
nommenen Anordnungen der einzelnen Bundesstaaten sind in Waldeck niemals getroffen worden.
§ 100 der V. U. schreibt nun weiter vor, daß bis zum Erlaß der nach § 29 erforderlichen Ge-
setze, „soweit die neuere Gesetzgebung nicht ausreicht,“ die vor dem Erlaß des Staatsgrundgesetzes
von 1849 bestandenen gemeinrechtlichen bezw. kandsgelehrchen Bestimmungen in Geltung treten
sollen. Eine „neuere Gesetzgebung“ über das Vereinswesen lag nicht vor; es können also nur
die vor dem 23. Mai 1849 in Geltung gewesenen Bestimmungen in Frage kommen. Dadurch
ist dem verfassungsmäßig garantirten Versammlungs= und Vereinsrecht eine ziemlich unsichere
Lage bereitet; die Praxis der Behörden gegenüber der Ausübung dieses Rechts ist indeß bisher
stets eine sehr liberale gewesen.
§ 6. Behördenorganismus. Die Organisation der Staatsverwal-
tung ist unter dem Accessionszustande bedeutend verändert bezw. vereinfacht worden.
Die heutige Organisation der Verwaltungsbehörden beruht auf dem Allerh. Erlaß vom
25. Jan. 1869. Durch denselben wurde die „Fürstlich waldeck'sche Regierung“ aufge-
hoben und die Functionen der Gesammtregierung sowohl wie ihrer einzelnen Abtheilungen
auf den Landesdirector übertragen, insoweit sie nicht durch den Accessionsvertrag auf
preußische Behörden direct übergegangen sind. Die Ernennung des Landesdirectors steht
dem König von Preußen zu, jedoch ist seine Person vor der Berufung dem Fürsten nam-
haft zu machen, und diesem, falls er die Anstellung beanstandet, das Recht vorbehalten,
zwischen zwei anderen ihm zu bezeichnenden Individuen binnen Monatsfrist die Wahl zu
treffen. Die Eintheilung des Landes in 4 Kreise ist beibehalten, die Benennung des dem
Kreise vorgesetzten Beamten aber von „Kreisrath“ in „Kreisamtmann“ umgewandelt.
Für die Organisation der richterlichen Behörden ist das Gesetz vom
1. Sept. 1879 betr. die Einführung des preußischen Ausführungsgesetzes zum Deutschen
Gerichtsverfassungsgesetz in den Fürstenthümern Waldeck und Pyrmont maßgebend. Durch