182 Falkmann, Das Staatsrecht des Fürstenthums Lippe. 84. 5.
bis es endlich nach dem Regierungsantritte des jetzigen Fürsten gelang, die Zustimmung
der alten Stände zu einem neuen Wahlgesetze zu erwirken. Nach diesem Gesetze
vom 3. Juni 1876 wählen die nach Steuerstufen in drei Klassen gegliederten Wähler 21
Abgeordnete in direkter Wahl und geheimer Abstimmung für 4 Jahre. Diese Abgeordneten
tagen mindestens alle zwei Jahre in Detmold, beschließen mit absoluter, in Verfassungsfragen
mit Zweidrittel-Majorität und üben — nach der schon den früheren Ständen am 8. Decbr.
1867 gemachten Konzession — eine entscheidende Stimme bei der Gesetzgebung aus. Hier-
durch ist die vormalige Standesvertretung und das Kurienwesen, woran das Land so
lange gekrankt hat, beseitigt, aber eine neue Verfassungsurkunde statt der von 1836 noch
nicht zu Stande gekommen.
§ 4. Das Finanzwesen. Die Finanzverwaltung hat sich im Lippischen ähn-
lich wie in den meisten deutschen Territorien entwickelt. Alle Einkünfte aus dem gräflichen
Domanium, aus Regalien und Steuern floßen früher in die ohne jede Theilnahme der
Landstände verwaltete gräfliche Kammerkasse, bis im Jahr 1684, zunächst behuf Schulden-
tilgung, eine besondere Steuerkasse oder „Landkasse“ gegründet und unter landständische
Kontrole gestellt wurde. Auf beiden Kassen ruhten Ausgaben für staatliche Zwecke ohne
feste grundsätzliche Scheidung. Die immer fühlbarer werdenden Unzuträglichkeiten dieses
Zwitterzustandes führten endlich zu einer Trennung zwischen dem Staats= und
Domanialhaushalte (Gesetz vom 24. Juni 1868) und zwar im Wesentlichen auf
der Basis, daß das gesammte Domanium mit Schlössern, Meiereien, Forsten, lehnsherr-
lichen und verschiedenen grundherrlichen Rechten zu dem Fürstlichen Hausvermögen gerech-
net ), dagegen alle hoheitsrechtlichen Revenuen von dem Kammergute ausgeschieden und
mit den Steuern in der Landkasse vereinigt wurden. Zur Ausgleichung übernahm die
Kammerkasse eine demnächst auf 45000 Mark erhöhte Geldrente an die Landkasse, und
wurde das Domanium, einschließlich der erbherrlichen Paragialbesitzungen, der Grund-
steuer unterworfen. Damit gingen die gesammten Kosten der Landesverwaltung auf die
Landkasse über. Letztere wird von der Regierung unter Mitwirkung von drei „Ans-
schußdeputirten“ der Stände verwaltet, dagegen das fürstliche Hausvermögen, dessen Fidei-
kommißverband bestehen bleibt, von der Rentkammer, jedoch mit der Beschränkung
(Ges. v. 10. Febr. 1869), daß es bei erheblichen Veränderungen der Substanz, Verpfän-
dungen, Anleihen der Zustimmung des Landtags (nicht der Agnaten) bedarf.
An direkten Landessteuern bestehen gegenwärtig: die „Kontribution“ oder
Grundsteuer, zu welcher seit 1843 auch der bis dahin eximirte ritterschaftliche Grundbe-
sitz (gegen theilweise Vergütung aus der Steuerkasse) herangezogen ist. Die Grundsteuer
ist durch Gesetze von 1874 und 77 auf 150 000 M. limitirt worden und wird zur Zeit, nach
vorgängiger Landesvermessung und Katastrirung, nach den in Preußen geltenden Grund-
sätzen neu regulirt (Ges. v. 12. Sept. 1877). Ferner die Gebäudesteuer (seit 1878), eine
Klassen= und Einkommensteuer (seit 1851. 68) und eine Gewerbesteuer (seit 1878). Alle
diese Steuern sind beweglich und werden nach der im Etat festgestellten Zahl der „Sim-
plen“ erhoben. Außerdem eine Erbschaftssteuer und (seit 1855) eine Schulsteuer, d. h.
ein von den Eltern schulpflichtiger Kinder zu entrichtendes Schulgeld.
§ 5. Allgemeine und Ortsverwaltung. Die früher, und theilweise noch bis 1879,
mit der Justiz verbundene Verwaltung ist in der Art organisirt, daß (seit 1854)
Jahre 1849 waren alle Jagdberechtigungen auf fremdem Grund und Boden ohne Entschädigung
gesetzlich aufgehoben, aber im Jahre 1854 unter dem kurzen Ministerium Fischer neben anderen
Illegalitäten einseitig wieder in Kraft gesetzt worden. Die dadurch im Lande hervorgerufene leb-
hafte Bewegung fand ihren Abschluß erst im Jahre 1872 durch Verzicht auf die landesherrlichen
Jagdberechtigungen und 1877 durch Herstellung des Gesetzes von 1849.
1) Dieses Resultat wird durch die geschichtliche Entwickelung im lippischen Hause auch wissen-
schaftlich hinlänglich begründet.