8 4. Verfassungsgeschichte. 15
am 26. April 1848 in Schwerin eröffneten außerordentlichen Landtage wurde von beiden Landes-
herrn die Auflösung der bisherigen Landesvertretung und die Anbahnung einer neuen Stände-Ein-
richtung auf Grundlage von Wahlen im ganzen Lande, welche nach den näheren Bestimmungen
eines provisorischen Wahlgesetzes erfolgen sollten, proponirt. Die Stände erklärten sich diesen Pro-
positionen gegenüber dahin, daß sie ihre bisherigen grundgesetzlichen Landstandschaftsrechte zu der
Folge aufgäben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten die Ständeversammlung bilden sollten; jedoch
nur unter der Bedingung, daß erstens die Auflösung der Stände als politisch berechtigter Korpora-
tionen erst in dem Augenblicke erfolgen solle, wo in Folge einer neu vereinbarten Verfassung die Landes-
herrn die Ritter= und Landschaft für aufgelöst erklären würden, und daß zweitens auch die Seestädte
Rostock und Wismar ihre bisherigen erbvertragsmäßigen Sonderrechte aufgeben würden. Die See-
städte erklärten nun zwar ihre Zustimmung zu dem Erlasse des provisorischen Wahlgesetzes, dagegen
scheiterten die Verhandlungen mit denselben über die Aufgabe ihrer Sonderrechte an der Entschä-
digungsfrage, über welche eine Einigung nicht zu erzielen war.
Inzwischen war eine auf Grund des provisorischen Wahlgesetzes gewählte Abgeordneten-
kammer am 31. Oktober 1848 in Schwerin zusammengetreten, um ein Staatsgrundgesetz für beide
Großherzogthümer zu vereinbaren. Auch bei dieser Gelegenheit wurde von vorne herein die Auf-
hebung der Union beider Länder in Aussicht genommen, welche demnächst durch einen Staatsver-
trag ersetzt werden sollte.
Die Vereinbarung eines Staatsgrundgesetzes gelang der Abgeordnetenkammer nur für Meck-
lenburg-Schwerin. Mecklenburg-Strelitz brach aus Veranlassung formeller Mißgriffe der Abgeord-
netenkammer die Verhandlungen im August 1849 ab und suchte eine letztmalige Berufung der alten
Stände herbeizuführen, um die Vereinbarung einer Verfassung mit diesen zu versuchen.
Allein trotz des von Strelitz erhobenen Widerspruchs wurden die Stände durch Mecklenburg-
Schwerin'sche V. O. vom 10. Oktober 1849 für aufgelöst erklärt und an demselben Tage das
Staatsgrundgesetz für Mecklen burg-Schwerin publizirt ½.
Die Auflösung der Stände wurde einem renitenten Theile der früheren Ritterschaft gegen-
über mit Gewalt durchgesetzt. Theils vor, theils unmittelbar nach Erlaß des Staatsgrundgesetzes
ergingen Proteste gegen dasselbe von verschiedenen Seiten, nemlich von den Magistraten der See-
städte wegen Nichterledigung der Entschädigungsfrage, von den Agnaten des Großherzoglichen Hauses
und von der Preußischen Krone wegen des dem Hamburger Vergleiche und dem Successionsvertrage
von 1442 angeblich widerstreitenden Ueberganges der landesherrlichen Domänen auf den Staat,
welcher durch das Staatsgrundgesetz herbeigeführt war; indessen hatten diese Proteste weiteren Er-
folg nicht. Ebenso blieb ein Rechtsstreit, den Mecklenburg-Strelitz zum Zwecke der Beseitigung des
Staatsgrundgesetzes zunächst beim Verwaltungsrathe des Dreikönigsbündnisses, dem Mecklenburg
seit dem 28. September 1849 angehörte, und dann beim Bundesschiedsgerichte in Erfurt anhängig
machte, ohne Erledigung. Mehr Erfolg dagegen hatte das Vorgehen einer Anzahl von Mitglie-
dern der früheren Mecklenburgischen Ritterschaft, welche die Berufung eines ritterschaftlichen Konventes
durch den ohne Beobachtung der Vorschriften des L.G.G.E. V. erneuerten Engeren Ausschuß 2) her-
beiführten. Derselbe trat am 5. Oktober 1849, also noch vor Erlaß des Staatsgrundgesetzes, in
Rostock zusammen und zwar ohne daß, wie es nothwendig gewesen wäre, vorher die Intimation
der Berathungsgegenstände stattgefunden hatte. Man beschloß, drei Deputirte zur Vertretung der
Mecklenburgischen Ritterschaft gegenüber dem Landesherrn und zur eventuellen Beschreitung des
Rechtsweges gegen denselben zu bevollmächtigen, wählte diese Deputirten sofort und diese beschrit-
ten, nachdem ihnen die nachgesuchte Audienz vom Landesherrn verweigert war, demnächst den
Weg der Klage gegen denselben bei der am 12. Dezember 1849 in Frankfurt a. M. zusammenge-
tretenen Bundes-Central-Kommission.
Sie begehrten die Eröffnung der Kompromiß-Instanz nach der Verordnung vom 28. November
1817 (s. S. 14), um in dieser eine Entscheidung über die Gültigkeit des Staatsgrundgesetzes her-
beiführen zu können, dessen Rechtsbestand von den Klägern wegen des Ausfalls der Bedingungen,
an welche die Stände die Aufgabe ihrer Landstandschaft geknüpft hatten, bestritten wurde. Nachdem
die Bundes-Central-Kommission entsprechend dem Antrage der Kläger dem schweriner Landesherrn
die Eröffnung der Kompromiß-Instanz aufgegeben hatte, mußte derselbe sich fügen. Durch eine
Proklamation vom 15. April 1850 8) wurde die Bevölkerung in Kenntniß gesetzt, daß der Landes-
herr der von der Bundes-Central-Kommission zu Frankfurt an ihn ergangenen Aufforderung, den
Vertretern des klagenden Theils der alten Ritterschaft den Rechtsweg durch die in der Patent-
Verordnung vom 28. November 1817 zugesicherte Kompromiß-Instanz zu gewähren, nicht länger
1) Raabe IV, S. 664 ff.
2) S. unten § 12 und L. G. G.E. V. § 179.
3) Raabe IV, S. 760.