Full text: Handbuch des öffentlichen Rechts. Band III.2.1. Das Staatsrecht von: Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Anhalt, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe. (5)

16 Büsing, Das Staatsrecht der Großherzogthümer Mecklenburg. 8 4. 
Widerstand entgegenzusetzen beabsichtige. Demnächst erfolgte eine Vereinbarung der Parteien über 
die Bildung der Kompromiß-Instanz nach § 2, N. 2 der zitirten Verordnung in der Art, daß der 
Landesherr den König von Hannover,w die Ritterschaft den König von Preußen zum 
Schiedsrichter erwählte, und die von diesen Schiedsrichtern bestellten Rechtsgelehrten, für den König 
von Hannover der Geheime Kabinetsrath Freiherr von Scheele, für den König von 
Preußen der Obertribunals-Vizepräsident Dr. von Götze, zu ihrem Obmanne den sächsischen wirk- 
lichen Geheimerath und Oberappellationsgerichts-Präsidenten Dr. von Langenn bestellten. Das 
so gebildete Schiedsgericht, welches nach Anordnung der Bundes-Central-Kommission zugleich über 
die Legitimation der Kläger zu dem Verlangen eines Schiedsgerichtes mit entscheiden sollte, trat 
in Freienwalde zusammen und gab am 12. September 1850 seinen Schiedsspruch dahin ab ½), 
daß das Staatsgrundgesetz und die schweriner V.O., betr. die Aufhebung der landständischen Ver- 
fassung, vom 10. Oktober 1849, nichtig und die Landesherrschaft zur Berufung eines Landtages 
nach Maßgabe des L.G.G.E.V. von 1755 verpflichtet sei. 
In Folge dieses Schiedsspruches wurden durch Verordnung vom 14. September 1850 das 
Staatsgrundgesetz und die V.O., betr. die Aufhebung der landständischen Verfassung, wieder aufge- 
hoben und auf den 15. Februar 1851 ein landständischer Landtag ausgeschrieben, mit dessen Zu- 
sammentritte die Wiederherstellung des früheren Zustandes vollendet war. 
Seither ist der Freienwalder Schiedsspruch sowohl in Hinsicht seines formellen Rechtsbestandes 
als in Hinsicht auf seine sachliche Begründung fortgesetzt Gegenstand der Kontroverse gewesen. Ins- 
besondere gegen seine formelle Zulässigkeit sind die erheblichsten Gründe geltend gemacht worden. 
Das Schiedsgericht war berufen auf Grund der V.O. vom 28. November 1817, einer Verordnung, 
die mit der landständischen Verfassung selbst ohne Weiteres ihre Geltung verlieren mußte. Wollte 
daher das Schiedsgericht über die Gültigkeit des Staatsgrundgesetzes urtheilen, so mußte es, um 
für seine eigene Existenz überhaupt nur den Boden zu schaffen, bereits von der Ungültigkeit des 
Staatsgrundgesetzes und dem daraus resultirenden Fortbestande der landständischen Verfassung aus- 
gehen, auf welcher es selbst und seine Kompetenz beruhte. Ein von diesem Schiedsgerichte ergangenes 
Urtheil, die Gültigkeit des Staatsgrundgesetzes aussprechend, wäre logisch undenkbar gewesen; denn 
nur unter der Voraussetzung der Ungültigkeit konnte es überhaupt in die Lage kommen, eine Ent- 
scheidung zu fällen. 
Die weiter gegen die formelle Gültigkeit des Schiedsspruches erhobenen Ausstellungen be- 
ziehen sich auf die Legitimation beider Parteien. Die Legitimation der Kläger fehlte, weil die V.O. 
vom 28. November 1817 die Kompromiß-Instanz nur dem gesammten Korps der Stände gewährt, 
sofern es sich, wie in diesem Falle, um eine Angelegenheit handelt, welche das Interesse beider 
Stände berührt, während die Kläger nur Vertreter eines Standes, der Ritterschaft, und auch in 
dieser Eigenschaft schwerlich legitimirt waren, da der Konvent, auf welchem sie bevollmächtigt waren, 
weder von ordnungsmäßig bestellten Organen, noch in gesetzlicher Art und Weise berufen war (s. 
oben S. 15). 
Die Legitimation des beklagten Landesherrn aber ermangelte um deßwillen, weil derselbe 
sich durch Emanation des Staatsgrundgesetzes an konstitutionelle Schranken gebunden hatte, durch 
welche ihm die einseitige Disposition über das den Gegenstand des Streites bildende Staatsgrund- 
gesetz entzogen war. 
Auf die Gründe des Freienwalder Schiedsspruches, welcher sich wesentlich auf die Defizienz 
der Suspensivbedingungen stützt, unter welchen die Stände auf die Landstandschaft verzichtet hatten, 
näher einzugehen, liegt eine Veranlassung nicht vor. Nicht so sehr der materielle Inhalt dieser 
Gründe, als das Unternehmen an sich, Institutionen, welche auf der Idee des modernen Staates 
beruhten, in Bezug auf ihre Gültigkeit mit dem Maßstabe der eivilrechtlichen Vertragstheorie zu 
messen, ist Beweis dafür, daß es sich bei dem ganzen Kompromißverfahren um einen leeren Schein 
handelte. Das Staatsgrundgesetz entnahm den Rechtsgrund seiner Geltung aus seinem thatsächlichen 
Bestehen, es verlor seine Gültigkeit, sobald seine thatsächliche Geltung dauernd ausgeschlossen war. 
Als dauernd ausgeschlossen aber muß diese Geltung angesehen werden, seitdem seit über dreißig 
Jahren die landständische Verfassung sich thatsächlich wieder in Uebung befindet. Nicht die Be- 
gründetheit des Freienwalder Schiedsspruches, sondern die faktische Wiederherstellung enthält auch 
für die fortdauernde Geltung der landständischen Verfassung den Rechtsgrund, welcher Anerkennung 
fordert, wenn man es auch bedauern mag, daß die Wiederherstellung, zu welcher der Landesherr 
nur unter dem zwingenden Drucke äußerer Gewalt die Hand bot, den Schein des Rechtes an- 
nehmen durfte. 
Aus dem hervorgehobenen Grunde sind denn auch Petitionen aus Mecklenburg-Schwerin um 
Wiederherstellung des Staatsgrundgesetzes, als des in Mecklenburg „)gültigen“ Rechtes, welche unter 
1) Raabe lV, S. 764.
	        
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