88. Die bestehende Verfassung. 1. Grundlagen. 23
Eine Gemeinde-Organisatior besteht in dem ritterschaftlichen Landestheile
nicht, da die alten Bauerngemeinden auch hier längst untergegangen sind, die ritterschaft-
lichen Grundherrn aber von jeher im Gegensatze zu den Landesherrn die möglichste Ver-
minderung der ritterschaftlichen Bauernstellen durch ausgedehnte Legungen der, einer
dinglichen Berechtigung an ihren Stellen entbehrenden Bauern angestrebt haben. Die
gesammten lokal-obrigkeitlichen und zadministrativen Funktionen sind in der Hand der
Gutsbesitzer vereinigt 7.
§ 8. Die Landschaft), d. h. die in den Städten und innerhalb der Stadtfeldmark
zu Stadtrecht liegenden Grundstücke, unterliegen dem freien Eigenthume der städtischen
Grundbesitzer. Die grundherrschaftlichen Rechte haben sich jedoch in den Städten vom
Grundeigenthume losgelöst. So lange die Städte Realgemeinden, d. h. Korporationen
der städtischen Grundeigenthümer, waren, übten diese die Grundherrschaft über das Stadt-
gebiet mittelbar durch von ihnen bestellte obrigkeitliche Korporationsorgane aus. Die
Ausübung der grundherrschaftlichen Befugnisse ist den Städten als solchen aber auch
verblieben, nachdem sie ihren Charakter als Realgemeinden verloren und sich zu Personal-
Gemeinden, d. h. Korporationen der städtischen Einwohner, umgestaltet haben. Die
städtischen Organe fungiren seitdem nicht mehr als Vertreter der Gesammtheit der
städtischen Grund-Eigenthümer, sondern ausschließlich als Obrigkeiten der städtischen Ein-
wohner. Nachdem endlich auch bezüglich der Städte die Auffassung zur Herrschaft gelangt
ist, daß die Landstandschaft eine aus der obrigkeitlichen Stellung folgende Berechtigung
sei 3), erscheinen die Bürger und Einwohner der Städte durch die städtischen Obrigkeiten
in gleicher Weise vertreten, wie die ritterschaftlichen Hintersassen durch ihre Gutsherrn.
Das Eigenthum an städtischen Grundstücken gewährt gegenwärtig auch nicht einmal mittel-
bare staatsrechtliche Befugnisse.
Während die obrigkeitliche Stellung allen Städten zukommt, ist das Gleiche rück-
sichtlich der Landstandschaft nicht der Fall. Die Stadt Neustrelitz, welche erst 1733 zu
einer solchen erhoben ist, besitzt Landstandschaft nicht, und ebenso hat Wismar auch seit
seiner Wiedervereinigung mit Mecklenburg im Jahre 1803 die Landstandschaft nicht er-
langt. Andererseits sind in letzter Zeit zwei Domanialflecken: Ludwigslust (1876) und
Doberan (1879) durch die schweriner Landesherrschaft zu Städten erhoben und 1880
bez. 1881 mit der Landstandschaft bewidmet.
Die Städte sind von altersher im Besitze einer weitgehenden Selbstverwaltung
gewesen, welche nur durch ein auf vertragsmäßiger Grundlage beruhendes landesherrliches
Oberaufsichtsrecht in den durch die Stadtverfassungen gezogenen Grenzen beschränkt war.
Versuche der Landesherrn, wenigstens die Landstädte zu staatlichen Verwaltungs-
körpern herabzudrücken, sind in Mecklenburg-Schwerin an der Zähigkeit der ständischen
Organisation gescheitert und haben weiteren Erfolg, als eine gewisse Erweiterung des
landesherrlichen Oberaufsichtsrechtes nicht gehabt. Ihren Abschluß erreichten diese Ver-
suche im Jahre 1827 durch kommissarisch= deputatische Verhandlungen in Doberan, in
Grundlage deren eine Vereinbarung zu Stande kam, welche, in Form eines Erlasses an
die Magistrate der Vorder-Städte") Parchim und Güstrow publizirt, den Landstädten
allgemein ihr inneres Regiment und die selbstständige Verwaltung ihres Vermögens garan-
selben vom 27. Mai 1868; Publ. vom 30. Mai 1837 (Raabe IV, S. 905), Erläuterung dazu vom
30. Januar 1855 (Raabe V, S. 1165). Notifikatorium vom 25. Oktober 1839.
1) Ueber die Geschichte des Bauernstandes vgl. Balck a. a. O. § 50—52, wo sich die Lite-
ratur verzeichnet findet. Ueber das geltende Recht in Bezug auf die Bauernlegungen s. V.O. vom
13. Januar 1862.
2) Landrecht III, S. 97—208.
3) S. Schw. St. K. seit 1816 (I, S. 330); übereinstimmend Str. H. St. B. (II, S. 180).
4) S. u. S. 26.