48 Büsing, Das Staatsrecht der Großherzogthümer Mecklenburg. 8 21.
demselben Maße beschränkt worden wie die städtische Gerichtsherrlichkeit, auf welcher sie
beruht. Es beschränkt sich nemlich gegenwärtig auf Strafen, welche durch polizeiliche
Strafbefehle, gegen die auf gerichtliche Entscheidung nicht angetragen ist, rechtskräftig er—
kannt sind!?).
Alle Gerichtsbarkeit geht von den Landesherren aus; sie wird zwar in gewissem
Umfange von den Ständen kraft eigenen Rechtes als Patrimonialgerichtsbar-
keit ausgeübt, aber auch diese ist auf landesherrliche Verleihung zurückzuführen 2). Für
den Inhalt sowohl wie für die Organisation der Patrimonialgerichtsbarkeit ist die
Emanation des Reichs-Gerichtsverfassungs-Gesetzes ein entscheidender Wendepunkt ge-
worden ).
Bis zum 1. Oktober 1879 beruhte die gesammte Niedergerichtsbarkeit des Landes
auf patrimonialer Grundlage. Sie wurde im Domanium durch die von den Landesherren
als Domanial-Grundherren bestellten Domanial-Amtsgerichte, in den Städten durch die
städtischen Obrigkeiten, in den Klöstern durch die Kloster-Amtsgerichte, und endlich in der
Ritterschaft durch die Gutsherrn geübt, welche letztere sich zwar in der Ausübung der
streitigen Gerichtsbarkeit und einzelner Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch
eigene Patrimonialgerichte vertreten lassen mußten, den größeren Theil der freiwilligen
Gerichtsbarkeit aber persönlich ausübten"). Die höhere Gerichtsbarkeit lag nahezu aus-
schließlich in den Händen der Landesherren; die Stände nahmen an derselben nur durch
Ausübung von Präsentationsrechten Theil, und nur die Seestädte Rostock und Wismar
waren im Besitze höherer patrimonialer Gerichtsbarkeit. Der § 15 des Reichs-Gerichts-
verfassungs-Gesetzes hat die gesammte ordentliche streitige Gerichtsbarkeit ausschließlich
den Staatsgerichten zugewiesen, die Patrimonialgerichtsbarkeit insoweit beseitigt und die
bestehenden Präsentationsrechte aufgehoben. Dagegen ist die Patrimonialgerichtsbarkeit,
soweit sie freiwillige Gerichtsbarkeit ist, durch das Gerichts-Verfassungs-Gesetz direkt nicht
berührt worden und, wenn auch mit vielfachen durch die Neugestaltung des streitigen
Gerichtswesens bedingten Veränderungen in der Organisation und Kompetenz, wenigstens
zum größeren Theile bei Bestand geblieben.
Aufgehoben ist die Patrimonialgerichtsbarkeit im Domanium; die von den patri-
monialen Domanial-Amtsgerichten geübte freiwillige Gerichtsbarkeit ist den neu geschaffenen,
nicht patrimonialen Amtsgerichten übertragen worden. Den Ständen dagegen ist ihre
Patrimonialgerichtsbarkeit verblieben. Die Städte haben ihre freiwillige Gerichtsbarkeit in
dem bisherigen Umfange behalten und es steht ihnen demnach zu: die Führung der Stadt-
bücher, die Verwaltung der Obervormundschaft, die Versiegelung und Entsiegelung von
Nachlässen, die Regulirung von Erbschaften und die Ausstellung von Erbenzeugnissen, die
Aufnahme gerichtlicher Urkunden und die Annahme und Aufnahme gerichtlicher Testamente?).
Ihre Organisation ist ganz unverändert geblieben. Die ritterschaftliche Patrimonialge-
richtsbarkeit dagegen ist in Bezug auf Umfang und Ausübung einschneidenden Verände-
rungen unterworfen. Die früheren Patrimonialgerichte sind aufgehoben und die allein
noch in Frage kommenden einzelnen Funktionen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mit denen
sie befaßt waren, den neu geschaffenen Amtsgerichten übertragen. Im Uebrigen aber
üben die Gutsbesitzer die freiwillige Gerichtsbarkeit in ihren Gütern persönlich und in
einem gegen früher sogar noch erweiterten Umfange aus. Es steht ihnen zu: die Ober-
1) S. darüber von Amsberg, S. 9 ff.
2) S. oben S. 39 Note 3.
3) Ausführungs-V. O. zum Reichs-Gerichtsverfassungs-Gesetz vom 17. Mai 1879, § 50—64,
von Amsberg, S. 648 ff.
4) Patrimonialgerichtsordnung vom 21 Juli /Strelitz: 23. Juli] 1821. Raabe II. S. 243.
5) Dem Magistrate zu Rostock sind daneben noch richterliche Funktionen bei der Adoption
sowie die in Rostock herkömmliche Bestätigung der Testaments-Exekutoren verblieben.