76 Becker, Das Staatsrecht des Großherzogthums Oldenburg. § 1. 2.
Nationalversammlung anschloß, welche Beschlüsse, insbesondere diejenigen über die Grundrechte des
deutschen Volkes, nebst den erlassenen Reichsgesetzen in die Oldenburgische Gesetzsammlung aufge-
nommen und damit als Oldenburg verbindende Gesetze anerkannt waren, wie solches einen Monat
später auch in Betreff der Reichsverfassung geschah. Im Uebrigen entsprach das St.G.G. den
demokratischen Anforderungen der damaligen Zeit; doch war ein nur suspensives Veto des Groß-
herzogs bei Erlaß von Gesetzen mit 4 Stimmen Mehrheit vom Landtage abgelehnt und wurden
mehrfach nur allgemeine Grundsätze aufgestellt, die erst später durch die ordentliche Gesetzgebung
zur Ausführung gebracht werden sollten, — z. B. Civilehe ist einzuführen —, wie dies ja eben-
falls in den deutschen Grundrechten geschehen war.
Der Verlauf der dem vereinbarenden Landtage folgenden 4 ersten ordentlichen Landtage,
1849 und 1850, war wenig befriedigend und mögen wohl zum Theil in Wort und Geist der Ver-
fassung selbst die Gründe gesucht werden müssen, welche einem einmüthigen Wirken der Landes-
Regierung und Vertretung entgegentraten. Wenigstens erklärten sich 1852 Staatsregierung und
Landtag übereinstimmend in diesem Sinne. Die zu wiederholter Aufllösung des Landtags führen-
den Conflikte hatten indessen ihren Grund nicht im Mangel einer Uebereinstimmung in inneren
Angelegenheiten, sondern in der vom Landtage bestrittenen Nothwendigkeit, einem Gebote der Reichs-
regierung, betr. Stellung eines Reiterregiments Folge zu leisten und in der Betheiligung der Re-
gierung an den Unionsbestrebungen, insbesondere dem Beitritt Oldenburgs zu dem Dreikönigs-
bündnisse (1849 Juli 13.)
Inzwischen trat die Deutsche Bundesversammlung wieder in anerkannte Wirksamkeit, hob
die Grundrechte des Deutschen Volkes, deren einzelne Bestimmungen fast sämmtlich in das Olden-
burgische St. G.G. übergegangen waren, auf und beschloß, die einzelnen Bundesstaaten aufzufordern,
die namentlich seit dem Jahre 1848 getroffenen staatlichen Einrichtungen und erlassenen gesetzlichen
Bestimmungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen und dann, wenn sie mit den Grundge-
setzen des Bundes nicht in Einklang stehen, diese nothwendige Uebereinstimmung ohne Verzug wie-
der zu bewirken. Hierbei behielt sich die Bundesversammlung die eventuelle Einwirkung auf die
Verfassungen der Einzelstaaten vor und stellte bei eintretendem Hinderniß die Absendung von be-
sonders zu instruirenden Commissarien in Aussicht.
Für die so gebotene Aenderung des St.G.G. sprachen auch schwerwiegende innere Gründe,
von denen nur erwähnt werden mag, daß viele Bestimmungen des St. G.G. zu ihrer gedeihlichen
Ausführung der Einigung von Staatsregierung und Landtag bedurften, daß andere für das kleine
Land nur dann wirksam ausgeführt werden konnten, wenn ihnen die jetzt fehlende Reciprocität in
den übrigen deutschen Staaten gesichert war, und daß noch andere, z. B. der Art. 48 des St.G.G.:
„Eine allgemeine Volksbewaffnung mit freier Wahl der Führer soll organisirt werden,
„zur Vertheidigung des Vaterlandes, sowie zur Aufrechthaltung der innern Ordnung und
„Sicherheit.“
ganz unausführbar geworden waren.
§2. Die Verfassung. In Würdigung dieser äußeren und inneren Gründe entschlossen
sich Staatsregierung und Landtag 1852 zu einer Revision des St.G.G., welche den Zweck
haben sollte, die zwischen der ersten Erlassung des St. G.G. und dem Zeitpunkte der Revision
gemachten Erfahrungen und gewonnenen Einsichten zur Verbesserung des Gesetzes zu benutzen
und aus den mehr theoretischen Principien des Jahres 1848 einen für Oldenburg praktisch
brauchbaren Niederschlag zu gewinnen. Aus dieser in gesetzlichem Wege sich vollziehenden
Revision ging das noch heute geltende St.G.-Gesetz vom 22. November 1852 hervor.
Es gehört zu denjenigen Verfassungen deutscher Staaten, welche der freien Selbstbestim-
mung des Volkes die geringsten Schranken setzen. Manche weitergehende Revisionsanträge
der Staatsregierung hatten beim Landtage keine Annahme gefunden, doch erklärte erstere
ihre Zustimmung, weil sie einen größeren Werth auf eine selbständige Durchführung der
gebotenen Revision in Einklang mit der Volksvertretung lege, und zudem hoffe, daß der
gesunde Sinn des Oldenburgischen Volkes die gehegte Besorgniß: ob nicht auch das neue
St.G.G. noch eine allzurasche Entwickelung der öffentlichen Institutionen des Großherzog=
thums im Vergleich mit dessen politischen Zuständen vor 1848 in sich begreife, besei-
tigen werde.
Mag dieser Wunsch nun in Erfüllung gegangen, oder mag die Besorgniß grundlos ge-
wesen sein, das revidirte St. G.G. ist ins Leben getreten und in allen seinen wesentlichen Ver-
heißungen ausgeführt worden, ohne je zu einem nachhaltigen Conflicte zwischen Staatsregierung