8 7. 8. Die Gemeindeverfassung. — Staat und Kirche. 87
Ferner geschieht die Wahl des Vorstandes in den Städten in vereinigter Versammlung des Vor—
standes und der Vertretung; es muß sogar in allen Angelegenheiten, in welchen die Mitwirkung
der Vetrtretung — des Stadtraths — erforderlich ist, die Berathung und Abstimmung beider
Collegien gemeinschaftlich stattfinden, wenn eine derselben dies beantragt hat. Weitere frühere
Verschiedenheiten zwischen der Verfassung von Stadt- und Landgemeinden sind durch die Revi—
sion zum Nachtheil der freien Selbstverwaltung der Städte möglichst beseitigt. Ein Protest der
Stadt Oldenburg fand naturgemäß beim Oldenburger Landtage wenig Berücksichtigung. Für
andere allgemeine Beschränkungen früherer Selbständigkeit, von denen hier nur erwähnt
werden mag: »
daß die revidirte Gemeindeordnung den Repartitionsmodus der zur Deckung der Ge—
meindeausgaben erforderlichen Umlagen nicht mehr den Gemeindeorganen überläßt, sondern all-
gemein gesetzlich festsetzt; «
daß, wenn Vorstand und Vertretung im Einverständniß zu handeln haben, und sich nicht
einigen, die Entscheidung auf die staatliche Aufsichtsbehörde übergeht;
sollte die Ueberlassung der Verwaltung der örtlichen Polizei an den Gemeindevorstand
auch in den ländlichen Gemeinden als Ersatz dienen.
Die Verwaltung der öffentlichen Armenpflege wird durch eine besondere Armen-
commission geführt, welche aus dem Gemeindevorsteher, von der Vertetung gewählten Mit-
gliedern und den für den Gemeindebezirk angestellten Pfarrern besteht, sich auch mit Zu-
stimmung der Gemeindevertretung durch andere bereitwillige Gemeindebürger verstärken
kann. Neben dieser weltlichen existirt vielfach eine kirchliche Armenpflege ohne Zwangs-
pflicht. Dieselbe soll den Charakter einer verborgener Noth abhelfenden Privatwohl-
thätigkeit haben, ist aber dieser Bedeutung nicht immer treu geblieben.
Die Standesamtsbezirke sind 1875 in wesentlichem Anschluß an die Gemeindebe-
zirke gebildet. Standesbeamter für das Großherzogliche Haus ist der Vorstand des be-
treffenden Departements im Staatsministerium.
§ 8. Staat und Kirche. Im Großherzogthum Oldenburg besteht keine Staatskirche,
aber die christliche Religion soll bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche mit der
Religion in Zusammenhang stehen, zum Grunde gelegt werden. Durch das religiöse Be-
kenntniß werden die bürgerlichen, sowie die staats= und gemeindebürgerlichen Rechte und
Pflichten weder bedingt noch beschränkt. Die Wahl des Glaubensbekenntnisses ist nach
zurückgelegtem 14ten Lebensjahre der eigenen freien Ueberzeugung eines Jeden überlassen.
In welcher Religion die Kinder erzogen werden sollen, haben lediglich diejenigen zu be-
stimmen, denen die Erziehungsrechte zustehen. Zu einer kirchlichen Handlung oder Feier-
lichkeit soll Niemand gezwungen werden, und jeder Staatsbürger ist unbeschränkt in der
gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Uebung seiner Religion und deren Gebräuche.
Eine Folge der so gewährleisteten Religionsfreiheit ist, daß neue Religions gesell-
schaften sich bilden dürfen, ohne daß es einer Anerkennung ihres Bekenntnisses durch
den Staat bedarf. Religions genossenschaften werden sie durch gesetzliche Verleihung
von Korporationsrechten. Sie ordnen und verwalten dann ihre Angelegenheiten im We-
sentlichen selbständig, und darf ihr Verkehr mit den kirchlichen Obern in keiner Weise ge-
hemmt werden. Die von ihnen angeordnete Aufbringung von Abgaben und Lasten zu
ihren Zwecken genießt aber einer gleichen Behandlung und gleicher Vorzüge, wie die Ab-
gaben und Leistungen der weltlichen Gemeinden nur dann, wenn die Grundsätze, wonach
jene Abgaben und Leistungen aufgebracht werden sollen, von der Staatsgewalt genehmigt
sind. Auch erfordert die ihnen zustehende Wahl, Ernennung oder Einsetzung ihrer Be-
amten und Diener eine Gutheißung von Seiten der Staatsgewalt nach Maßgabe der
Gesetze und Verträge. Den als Corporationen anerkannten Einzelgemeinden der verschie-
denen Religionsgenossenschaften ist gleichberechtigte Selbständigkeit und gegenseitige Unab-
hängigkeit von einander gewährleistet. Kein Mitglied einer solchen Gemeinde kann in
irgend einer Beziehung dem Rechte einer anderen Religionsgenossenschaft unterworfen sein,
insbesondere zur Tragung kirchlicher Umlagen einer anderen Confession nicht gezwungen
werden.