86. Die Landtage. 125
fassungsvorschrift konnte die Staatsregierung seiner Zeit dem Nationalverein in Coburg
ihren Schutz angedeihen lassen. Nähere Bestimmungen über die Ausübung des Vereins—
rechts bestehen nicht.
2. „Alle Staatsangehörige sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Er—
laubniß friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Von Versammlungen unter freiem
Himmel ist 24 Stunden vorher von dem Unternehmer oder Leiter der Bezirkspolizeibe-
hörde Anzeige zu machen, welche die Versammlung zu verbieten hat, wenn ausreichender
Grund zu der Annahme vorhanden ist, daß sie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
werde gefährlich werden.“ Die engen Verhältnisse des Kleinstaats und der gesetzliche
Sinn seiner Bewohner, auch die Gesetzlichkeit und der Takt der Verwaltungsbehörden haben
bisher selbst in bewegten Zeiten eine größere Beschränkung des Versammlungsrechts,
namentlich die Befugniß der Polizeibehörden zur Ueberwachung und Auflösung politischer
Versammlungen nicht nöthig erscheinen lassen.
3. Das Petitionsrecht ist gewährleistet, ebenso
4. die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die Freiheit der Vereini-
gung zu Religionsgenossenschaften, wenn deren Grundsätze weder den Strafgesetzen noch
der Sittlichkeit zuwider laufen, und die Freiheit der häuslichen und öffentlichen Religions-
übungen. Wie durch das religiöse Bekenntniß der Genuß der staatsbürgerlichen Rechte
weder bedingt noch beschränkt wird, so darf dasselbe auch den staatsbürgerlichen Pflichten
keinen Abbruch thun.
5. Von der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte, namentlich des Wahlrechts für
die Landtage, von welchem Seite 126 die Rede sein wird, sind außer Verhafteten, Bevor-
mundeten, Dienstboten sowie Gesellen und Gehülfen ohne eigenen Hausstand auch Ge-
meinschuldner während der Dauer des Concurses und innerhalb der nächsten zehn
Jahre, sowie diejenigen, welche dauernde Unterstützung aus öffentlichen oder Gemeinde-
Mitteln beziehen, ausgeschlossen.
6. Was die Pflichten der Staatsangehörigen betrifft, so ist die allgemeine
Wehrpflicht in den Herzogthümern schon im Jahre 1849, also im Gegensatze zu manchem
anderen Bundesstaate lange vor dem Auschluß an die preußische Wehrverfassung ausge-
sprochen und im St.G.G. von 1852 von Neuem bestätigt worden. Die Stenerpflicht
ist dem St. G.G. entsprechend so geregelt, daß eine Bevorzugung einzelner Stände und
Güter nicht mehr Statt findet. Nur die Grundbesitzungen des Staats sowie die Kirchen-
und Schulgebäude sind von der Grundsteuer, nur der Herzog, die Herzogin und die Her-
zogin-Wittwe von der Einkommensteuer befreit. Ueber die Grundsteuer von den Domänen-
gütern bestehen in beiden Herzogthümern besondere Bestimmungen, welche Seite 135, 136
Erwähnung finden werden. Die Steuerfreiheit der Rittergüter ist in Coburg seit 1809,
in Gotha seit 1841 aufgehoben.
§ 6. Die Landtage. I. Sonderlandtage und gemeinschaftlicher
Landtag. Die Staatsangehörigen üben die ihnen in ihrer Gesammtheit verfassungs-
mäßig zustehenden Rechte durch die Landtage aus. Es besteht für jedes der beiden
Herzogthümer ein besonderer , für die gemeinsamen Verhältnisse, Angelegenheiten und
Einrichtungen aber ein gemeinschaftlicher Landtag. Alle den Landtagen ver-
fassungsmäßig zukommenden Befugnisse werden, soweit sie nicht ausdrücklich dem gemein-
schaftlichen Landtag zugewiesen sind, durch die Einzellandtage ausgeübt. Die Regel
bildet also die particuläre Behandlung der Landesangelegenheiten.
Diejenigen Angelegenheiten, welche das St.G.G. als gemeinsame bezeichnet, sind
oben bereits namhaft gemacht ½); es können aber auch noch andere Angelegenheiten und Ein-
richtungen für gemeinsam erklärt werden, wenn die Landtage der beiden Herzogthümer
1) Siehe Seite 116