Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.2. Das Staatsrecht der Thüringischen Staaten. (6)

86. Die Landtage. 127 
auf Gesetz. Das active Wahlrecht besitzt jeder selbstständige, unbescholtene, 
männliche Staatsangehörige, welcher das 25ste Lebensjahr zurückgelegt und 
seit Anfang des dem Wahlausschreiben vorausgegangenen Jahres eine directe Staatssteuer 
zu entrichten gehabt hat, auch sich damit bei Aufstellung der Wahlliste nicht auf ein Jahr 
in Rückstand befindet. Das Wahlrecht kann nur am Wohnsitze ausgeübt werden, ruht 
also für diejenigen Staatsangehörigen, welche nicht in den Herzogthümern wohnhaft sind. 
Wer als unselbstständig vom Wahlrecht ausgeschlossen sein soll, ist schon oben Seite 125 
No. 5 angedentet. An Stelle der im St.G.G. gegebenen Anordnungen über den Ausschluß 
wegen entehrender Vergehen und Verbrechen und über die Strafen wegen ungesetzlicher 
Einwirkung auf die Wahlen gelten jetzt die 8§ 33. 34. 107. 108. 109 des Reichsstrafgesetz- 
buchs. (Vergl. § 2 des Einführungsgesetzes zu demselben.) 
Die Wahlmänner eines jeden Bezirks (15 bis 44 an der Zahl) wählen einen Ab- 
geordneten mit absoluter Stimmenmehrheit, eventuell in engerer Wahl; die Theilnahme 
von mindestens zwei Dritttheilen der Wahlmänner ist wesentliches Erforderniß. Wählbar 
ist jeder Wahlberechtigte, der das 30ste Lebensjahr zurückgelegt hat. Die Wahlperiode ist 
eine vierjährige. 
Die näheren Vorschriften über das Verfahren bei den Wahlen der Wahlmänner 
und der Abgeordneten enthält die Wahlordnung (Beilage I des St.G.Ges.) und das Ge- 
setz vom 31. Januar 1874. Zu Abänderungen ist nur die Zustimmung des gemein- 
schaftlichen Landtags erforderlich. Staatsdiener haben die Annahme der Wahl ihrer 
vorgesetzten Behörde anzuzeigen; eines Urlaubs bedürfen sie nicht. 
III. Besondere Rechtsverhältnisse der Landtagsmitglieder. 
Die Abgeordneten sind Vertreter der Gesammtheit der Staatsangehörigen; sie haben von 
ihren Wählern keine Vorschriften anzunehmen, auch können ihnen die Wähler das Man- 
dat während der Wahlperiode nicht wieder entziehen. 
Die Abgeordneten besitzen als solche bei Ausübung ihres Berufs die vollste Rede- 
freiheit und können wegen keiner ihrer Aeußerungen, seien dieselben mündlich oder schrift- 
lich, in Plenarsitzungen oder in Kommissionen und Ausschüssen geschehen, auch nicht wegen 
ihrer Abstimmungen, außerhalb des Landtags zur Verantwortung gezogen werden. Sollte 
jedoch ein Abgeordneter durch eine Aeußerung ein Verbrechen oder Vergehen 
verüben, so kann der Landtag selbst seine Mißbilligung über ihn aussprechen, 
was im Gegensatze zu dem bloßen Ordnungsruf des Präsidenten einen förmlichen Be- 
schluß der Versammlung voraussetzt. Diese Disciplinarmaßregel ist durch § 11. des 
Reichs-St.G. B. nicht beseitigt, wohl aber das frühere Recht des Landtags, einen Fall der 
bezeichneten Art an die Strafgerichte zu verweisen. 
Kein Abgeordneter darf während der Versammlung eines Landtags ohne dessen Zu- 
stimmung verhaftet werden, den Fall der Ergreifung auf frischer That wegen eines 
Verbrechens ausgenommen. Der Wortlaut des § 86 des St.G.G. läßt keinen Zweifel 
darüber zu, daß jede Art der Verhaftung ausgeschlossen sein soll, nicht nur die Unter- 
suchungshaft, sondern auch die Strafhaft, die Schuldhaft und jede andere Coörcitivhaft. 
Daß eine bereits begonnene Haft durch die Einberufung des Landtags unterbrochen 
werde, schreibt die Versassung nicht vor; vgl. übrigens § 786 der R.C. Pr.O. 
Die Abgeordneten erhalten aus der Staatskasse Tagegelder und Reisekosten. 
IV. Die Wahlprüfungen und die Geschäftsordnung. Jeder Ein- 
zellandtag hat über die Legitimation seiner Mitglieder selbst zu entscheiden. Mit 
dieser Bestimmung steht es nicht in Widerspruch, wenn die Staatsregierung vor Mitthei- 
lung der Wahlacten an den Landtag die Abstellung offenbarer Formfehler, insoweit eine 
solche noch möglich, anordnet. Im Jahre 1861 hat die Coburgische Staatsregierung auch 
eine Wahl, weil dem Gewählten das passive Wahlrecht fehlte, selbst cassirt und eine Neu-
	        
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