Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.2. Das Staatsrecht der Thüringischen Staaten. (6)

83. Der Landtag. 145 
Die allgemeinen Wahlen werden in 12 Wahlkreisen vollzogen, jeder derselben muß 
mindestens 5000 Einwohner umfassen. Die Höchstbesteuerten, als welche alle Wahlberech- 
tigten gelten, die jährlich 120 Mark an direkten Staatssteuern entrichten, sind von den 
allgemeinen Wahlen ausgeschlossen und wählen in vier Wahlkreisen die erwähnten vier 
Vertreter. 
Die Vollziehung der Wahl findet direkt mit geheimer Abstimmung statt. 
Durch gültige Wahl und deren Annahme wird die Eigenschaft eines Landtagsmitgliedes 
erworben. Beamte bedürfen zum Eintritt in den Landtag keines Urlaubes mehr. 
II. Der Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Landes, stimmt nach freier Ueberzeu— 
gung und ist an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. Sitz des Landtags ist die 
Residenz Rudolstadt. Die Abgeordneten erhalten Diäten und Reisekosten. Vor Eintritt 
in den Landtag hat der Gewählte einen Eid auf die Verfassung zu leisten. 
Einzelne Mitglieder des Landtags verlieren diese ihre Eigenschaft durch Niederle— 
gung ihres Abgeordnetenamtes, durch Verlust der zur Wählbarkeit erforderlichen Eigen— 
schaften und wenn sie ein besoldetes Staatsamt annehmen oder im Staatsdienst in ein 
Amt eintreten, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist. Der 
Ablauf der Legislaturperiode oder die Auflösung des Landtags nimmt sämmtlichen Mit- 
gliedern die Eigenschaft als Volksvertreter. 
III. Der Landtag darf ohne Einberufung des Fürsten zu einer Versammlung nicht 
zusammentreten, er muß jedoch zum Zweck der Genehmigung des Budgets mindestens 
alle 3 Jahre zu einer ordentlichen Versammlung einberufen werden. Alle übrigen 
Versammlungen sind außerordentliche und finden in der Regel nur statt, wenn Vorlagen 
dringlicher Natur zu machen sind. 
IV. Beschlußfähig ist der Landtag bei Anwesenheit von 11 Mitgliedern. Die Be- 
schlüsse werden durch einfache Stimmenmehrheit gefaßt, jedoch ist zur Erhebung der Mi- 
nisteranklage und zur Verfassungsänderung eine Majorität von zwei Drittheilen der Ab- 
stimmenden nöthig. Im letzteren Falle müssen außerdem noch drei Viertheile sämmtlicher 
Abgeordneten anwesend sein. 
Die Sitzungen sind meist öffentliche. 
Die Schließung des Landtags hängt vom Fürsten ab. Derselbe ist auch befugt, 
jederzeit die Auflösung des Landtags zu verfügen. Im letzteren Falle muß jedoch binnen 
3 Monaten eine Neuwahl und binnen weiterer dreimonatlicher Frist die Wiedereinberufung 
erfolgen. 
V. Die Verfassung geht davon aus, daß der Landtag sich nur mit den ihm im 
Grundgesetz zugewiesenen Gegenständen beschäftigen dürfe und führt als solche auf: 
1. Die Mitwirkung bei der Gesetzgebung über die Verfassung, persönliche Freiheit, 
Sicherheit und das Eigenthum der Staatsunterthanen. 
2. Die Theilnahme an der Ausübung der Finanzgewalt, soweit diese sich erstreckt 
auf Feststellung des Budgets, Erhebung oder Erhöhung von Steuern, Aufnahme von An- 
lehen, Kontrolle der gesammten Finanzverwaltung. 
3. Die Mitwirkung bei Veräußerung von Fürstlichen Domänen und Abschließung 
von Staatsverträgen über Abtretung von Gebietstheilen. 
4. Die Ueberwachung und Kontrolle der gesammten Staatsverwaltung. Diese wird 
praktisch geübt durch die sogenannte Ministeranklage, das Petitions= und Beschwerderecht 
und die Initiative bei Gesetzen. 
Im Uebrigen geht die Verfassung, da sie die Rechte des Landtags begrenzt, davon 
aus, daß der Fürst die landesherrliche Gewalt, soweit er nicht ausdrücklich an die Mit- 
wirkung des Landtags gebunden ist, unbeschränkt ausübt. Alle Beschlüsse des Landtags 
erhalten erst Gültigkeit durch die landesherrliche Sanktion. 
Handbuch des Oeffentlichen Rechts. III. 2. II. 10
	        
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