Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.2. Das Staatsrecht der Thüringischen Staaten. (6)

8 4. Behördenorganismus. II. Die Justizpflege. 147 
Staaten, die Landtagsangelegenheiten, Münz-, Post-, Zoll-, Militärangelegenheiten, der 
wegen der Gerichtsgemeinschaft mit anderen Staaten nothwendige Verkehr und alle übrigen 
dem Ministerium durch die Gesetzgebung speciell überwiesenen Sachen. Auch die Ange— 
legenheiten des Fürstlichen Hauses werden im Ministerium bearbeitet. 
Im Allgemeinen ist das zuständige Landrathsamt die Beschwerdeinstanz gegen Be— 
schlüsse der Gemeindebehörden. Gegen Beschlüsse des Landraths ist wiederum Berufung an 
das Ministerium zulässig. Dieses entscheidet auch als Gesammtministerium über Beschwerden 
gegen einzelne Ministerialabtheilungen und bei Competenzconflikten der letzteren untereinander. 
Gegen die Entscheidungen des Ministeriums findet Vorstellung an den Fürsten statt. 
In den in der Gewerbeordnung erwähnten Angelegenheiten entscheidet in erster 
Instanz der Landrath, in zweiter das Recurscollegium für Gewerbesachen. 
Zur Verwaltung der öffentlichen Armenpflege sind in Gemäßheit des 
Reichsgesetzes über den Unterstützungswohnsitz Armenverbände gebildet worden. In der 
Regel bildet jede Ortsgemeinde bez. Gutsbezirk einen solchen, doch können auch mehrere 
Gemeinden zu einem Armenverbande vereinigt werden. Das gesammte Fürstenthum bildet 
einen Landarmenverband. 
Zur Entscheidung von Streitigkeiten deutscher Armenverbände gegen solche des 
Fürstenthums ist eine aus 3 Mitgliedern bestehende „Deputation für das Hei- 
mathswesen“ in Rudolstadt errichtet worden. Von diesen Mitgliedern muß eins dem 
Richterstande angehören. 
In allen Streitigkeiten unter Armenverbänden des Fürstenthums muß dem Klag- 
anbringen bei der Deputation ein Sühneversuch beim Landrathsamt des beklagten Ver- 
bandes vorausgehen. 
Gegen die Entscheidung der Deputation sindet Berufung an das Bundes-Amt 
für das Heimathswesen statt, abgesehen von Streitigkeiten über Organisation und ört- 
liche Abgrenzung der einzelnen Armenverbände. In Streitigkeiten zwischen Armenverbän- 
den gegen unterstützungsverpflichtete Verwandte eines Hülfsbedürftigen hat das Landraths- 
amt, in welchem der Verpflichtete seinen Wohnsitz oder Aufenthalt genommen hat, die erste 
Entscheidung. Gegen letztere ist Recurs an die Deputation als die letzte Instanz gestattet. 
Außerdem können jedoch beide Theile auf gerichtlichem Wege ihre Rechte wahrnehmen. 
In Angelegenheiten des Fürstlichen Hauses und in allen wichtigen Regierungsge- 
schäften, namentlich bei Staatsverträgen, diplomatischen Unterhandlungen, Landtagsange- 
legenheiten, Erlaß von Gesetzen und allgemeinen Verordnungen, Anstellung und Besoldung der 
Staatsdiener und Entscheidungen, die nach dem bestehenden Rechte der Sanktion des Fürsten 
bedürfen, ist die unmittelbare Genehmigung des Landesherrn nothwendig. 
II. Die Justizpflege. Die Organisation und die Hauptgrundsätze der Rechtspflege 
sind durch die Reichsgesetze festgestellt. Demgemäß erfolgt im Fürstenthum die Recht- 
sprechung durch 7 Amtsgerichte, das in Gemeinschaft mit dem Königreich Preußen und 
dem Herzogthum Sachsen-Meiningen für die angrenzenden Gebietstheile errichtete Land- 
gericht zu Rudolstadt !), das gemeinschaftliche Thüringische Oberlandesgericht zu Jena?) und 
das unmittelbar unter der Verwaltung des Reiches stehende Reichsgericht. 
Das Oberaufsichtsrecht über die Gerichte wird vom Landesherrn kraft seiner Ge- 
richtsherrlichkeit durch die Ministerialabtheilung für die Justiz ausgeübt. Da eine ver- 
fassungsmäßige Beschränkung nicht besteht, so muß dem Fürsten das Begnadigungsrecht 
im weitesten Sinne zugeschrieben werden, also auch das Recht der Niederschlagung der 
Untersuchung, des Straferlasses, der Strafmilderung, der Restitution gegen die Folgen 
der Verurtheilung und der Amnestie. 
1) Vgl. Kircher im Handb. des Oeff. Rechts III. 2. u. S. 49 unter d. 
2) Vgl. Kircher ebendaselbst unter b. 
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