Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.2. Das Staatsrecht der Thüringischen Staaten. (6)

8 6. Die Gemeindeverfassung. 163 
und privilegirter Gerichtsstand anderweite Erwähnung gefunden hat, sind bevorrechtete 
Stände nicht vorhanden. 
§ 6. Die Gemeindeverfassung. I. Die Gemeinden. Nach der sowohl Stadt 
als Land umfassenden neuen Gemeindeordnung vom 15. Jan. 1876 bildet jeder 
Ort einen Gemeindebezirk, in jedem Gemeindebezirk besteht eine Orts gemeinde. Die 
Vereinigung mehrerer Orte zu einem Gemeindeverband bedarf der landesherrlichen Ge- 
nehmigung. Ausgeschlossen von den Gemeindebezirken sind die dem Fürsten zur Nutzung 
vorbehaltenen Grundbesitzungen, die Fürstl. Domänen und Forsten, und Rittergüter von mehr 
als 130 Hectaren. 
Jeder Gemeinde steht die selbstständige Verwaltung ihrer Angelegen- 
heiten mit Einschluß der Ortspolizei zu. Jede hat die freie Wahl ihrer Vertreter, kann 
auch unter Genehmigung des Ministeriums, Abth. des Innern, Ortsgesetze errichten und 
in denselben Gebote und Verbote mit Strafandrohungen aufnehmen. Zur Erfüllung aller 
aus dem Gemeindezwecke abzuleitenden Verpflichtungen können die Gemeinden vom Staate 
im Verwaltungswege angehalten werden. 
Das Bürgerrecht beruht auf Verleihung des Gemeinderaths oder auf defini- 
tiver öffentlicher Anstellung. Wer seit 3 Jahren ein stehendes Gewerbe selbstständig im 
Gemeindebezirk betrieben oder seit 3 Jahren den wesentlichen Wohnsitz im Gemeindebe- 
zirk gehabt hat, dem kann, die allgemeinen Erfordernisse (physische Person, rechtliche Selbst- 
ständigkeit, Reichsangehörigkeit, Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte) vorausgesetzt, das 
Bürgerrecht nicht verweigert werden. 
Gemeindebehörden sind der Gemeinderath und der Gemeindevorstand, in 
Städten Magistrat genannt. 
Der erstere besteht aus 6 resp. 9, resp. 12 Mitgliedern in Gemeinden bis zu 1000 resp. 
2000, resp. 4000 Seelen, in stärker bevölkerten Gemeinden treten je 3 Mitglieder auf die über- 
schießende Vollzahl von je 2000 Einwohnern hinzu. Die Wahl erfolgt auf 6 Jahre; die Wähler 
werden je nach der Höhe der directen Steuer in drei Abtheilungen getheilt, von welchen jede ½ 
der Mitglieder wählt. 
Den Gemeindevorstand wählt der Gemeinderath, regelmäßig auf 12 Jahre, in Orten unter 
1500 Einwohnern auf 6 Jahre. Der Gemeindevorstand hat die gesammte Executive der Ge- 
meindeverwaltung, ist jedoch auch das Organ, dessen sich die Staatsbehörden bei Ausübung der 
Regierungsrechte in den Gemeinden bedienen dürfen. Die Mitwirkung des Gemeinderaths ist 
gesetzlich begrenzt. Die Feststellung der Besoldung des Bürgermeisters und des Unterpersonals 
steht dem Gemeinderathe zu. In Stadtgemeinden sind dem Bürgermeister, soweit nicht beson- 
dere Vereinbarung vorliegt, bei Dienstunfähigkeit oder Nichtwiederwahl 25% der Besoldung nach 
6jähriger, 50% nach 12jähriger Dienstzeit, weitere 1 ½/2% für jedes fernere Jahr bis zu 68% 
als. Pension zu gewähren. Die lebenslänglich angestellten Gemeindebeamten erhalten Pension 
nach denselben Grundsätzen. Ueber die Pensionsansprüche entscheidet in streitigen Fällen das 
Ministerium, Abth. des Innern, gegen dessen Beschluß jedoch, soweit sich derselbe nicht auf die 
Thatsache der Dienstunfähigkeit oder darauf bezieht, welcher Theil des Diensteinkommens als 
Besoldung anzusehen sei, Berufung auf richterliche Entscheidung stattfindet. 
Können Gemeindebedürfnisse durch den Abwurf des Gemeindevermögens 
aus den für besondere Einrichtungen vorhandenen Stiftungen und Fonds oder aus an- 
deren regelmäßigen Einnahmequellen nicht gedeckt werden, so sind dieselben durch Gemeinde- 
leistungen aufzubringen. Die in Geldbeträgen bestehenden Gemeindelasten werden nach 
Verhältniß der in der Gemeinde zu entrichtenden directen Staatssteuern vertheilt. 
Commnnalsteuerpflichtig sind alle Bürger, alle im Gemeindebezirke sich wesentlich Aufhaltenden, 
die Eigenthümer von Grundstücken im Gemeindebezirk und die daselbst ein selbstständiges Gewerbe 
treibenden Personen, auch wenn sie ihren Wohnsitz nicht im Gemeindebezirk haben, die im Gemeinde- 
bezirk ihren Sitz oder doch eine dauernde Vertretung habenden oder das. Grundstücke besitzenden 
oder Gewerbe betreibenden juristischen Personen, die klassensteuerpflichtigen Genossenschaften, Com- 
mandit= und Actiengesellschaften sowie eingetragene Zweigniederlassungen. Ausgenommen sind 
die dem Staat gehörigen oder von demselben zum öffentlichen Dienste unmittelbar benutzten 
Grundstücke und Anlagen, die Grundstücke der Kirche, Schule und der milden Stiftungen, die 
Dienstgrundstücke der Geistlichen und Lehrer, und die milden Stiftungen. Eisenbahnen unter- 
liegen der Communalbesteuerung nur bezüglich des Nebenbesitzes. 
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