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und privilegirter Gerichtsstand anderweite Erwähnung gefunden hat, sind bevorrechtete
Stände nicht vorhanden.
§ 6. Die Gemeindeverfassung. I. Die Gemeinden. Nach der sowohl Stadt
als Land umfassenden neuen Gemeindeordnung vom 15. Jan. 1876 bildet jeder
Ort einen Gemeindebezirk, in jedem Gemeindebezirk besteht eine Orts gemeinde. Die
Vereinigung mehrerer Orte zu einem Gemeindeverband bedarf der landesherrlichen Ge-
nehmigung. Ausgeschlossen von den Gemeindebezirken sind die dem Fürsten zur Nutzung
vorbehaltenen Grundbesitzungen, die Fürstl. Domänen und Forsten, und Rittergüter von mehr
als 130 Hectaren.
Jeder Gemeinde steht die selbstständige Verwaltung ihrer Angelegen-
heiten mit Einschluß der Ortspolizei zu. Jede hat die freie Wahl ihrer Vertreter, kann
auch unter Genehmigung des Ministeriums, Abth. des Innern, Ortsgesetze errichten und
in denselben Gebote und Verbote mit Strafandrohungen aufnehmen. Zur Erfüllung aller
aus dem Gemeindezwecke abzuleitenden Verpflichtungen können die Gemeinden vom Staate
im Verwaltungswege angehalten werden.
Das Bürgerrecht beruht auf Verleihung des Gemeinderaths oder auf defini-
tiver öffentlicher Anstellung. Wer seit 3 Jahren ein stehendes Gewerbe selbstständig im
Gemeindebezirk betrieben oder seit 3 Jahren den wesentlichen Wohnsitz im Gemeindebe-
zirk gehabt hat, dem kann, die allgemeinen Erfordernisse (physische Person, rechtliche Selbst-
ständigkeit, Reichsangehörigkeit, Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte) vorausgesetzt, das
Bürgerrecht nicht verweigert werden.
Gemeindebehörden sind der Gemeinderath und der Gemeindevorstand, in
Städten Magistrat genannt.
Der erstere besteht aus 6 resp. 9, resp. 12 Mitgliedern in Gemeinden bis zu 1000 resp.
2000, resp. 4000 Seelen, in stärker bevölkerten Gemeinden treten je 3 Mitglieder auf die über-
schießende Vollzahl von je 2000 Einwohnern hinzu. Die Wahl erfolgt auf 6 Jahre; die Wähler
werden je nach der Höhe der directen Steuer in drei Abtheilungen getheilt, von welchen jede ½
der Mitglieder wählt.
Den Gemeindevorstand wählt der Gemeinderath, regelmäßig auf 12 Jahre, in Orten unter
1500 Einwohnern auf 6 Jahre. Der Gemeindevorstand hat die gesammte Executive der Ge-
meindeverwaltung, ist jedoch auch das Organ, dessen sich die Staatsbehörden bei Ausübung der
Regierungsrechte in den Gemeinden bedienen dürfen. Die Mitwirkung des Gemeinderaths ist
gesetzlich begrenzt. Die Feststellung der Besoldung des Bürgermeisters und des Unterpersonals
steht dem Gemeinderathe zu. In Stadtgemeinden sind dem Bürgermeister, soweit nicht beson-
dere Vereinbarung vorliegt, bei Dienstunfähigkeit oder Nichtwiederwahl 25% der Besoldung nach
6jähriger, 50% nach 12jähriger Dienstzeit, weitere 1 ½/2% für jedes fernere Jahr bis zu 68%
als. Pension zu gewähren. Die lebenslänglich angestellten Gemeindebeamten erhalten Pension
nach denselben Grundsätzen. Ueber die Pensionsansprüche entscheidet in streitigen Fällen das
Ministerium, Abth. des Innern, gegen dessen Beschluß jedoch, soweit sich derselbe nicht auf die
Thatsache der Dienstunfähigkeit oder darauf bezieht, welcher Theil des Diensteinkommens als
Besoldung anzusehen sei, Berufung auf richterliche Entscheidung stattfindet.
Können Gemeindebedürfnisse durch den Abwurf des Gemeindevermögens
aus den für besondere Einrichtungen vorhandenen Stiftungen und Fonds oder aus an-
deren regelmäßigen Einnahmequellen nicht gedeckt werden, so sind dieselben durch Gemeinde-
leistungen aufzubringen. Die in Geldbeträgen bestehenden Gemeindelasten werden nach
Verhältniß der in der Gemeinde zu entrichtenden directen Staatssteuern vertheilt.
Commnnalsteuerpflichtig sind alle Bürger, alle im Gemeindebezirke sich wesentlich Aufhaltenden,
die Eigenthümer von Grundstücken im Gemeindebezirk und die daselbst ein selbstständiges Gewerbe
treibenden Personen, auch wenn sie ihren Wohnsitz nicht im Gemeindebezirk haben, die im Gemeinde-
bezirk ihren Sitz oder doch eine dauernde Vertretung habenden oder das. Grundstücke besitzenden
oder Gewerbe betreibenden juristischen Personen, die klassensteuerpflichtigen Genossenschaften, Com-
mandit= und Actiengesellschaften sowie eingetragene Zweigniederlassungen. Ausgenommen sind
die dem Staat gehörigen oder von demselben zum öffentlichen Dienste unmittelbar benutzten
Grundstücke und Anlagen, die Grundstücke der Kirche, Schule und der milden Stiftungen, die
Dienstgrundstücke der Geistlichen und Lehrer, und die milden Stiftungen. Eisenbahnen unter-
liegen der Communalbesteuerung nur bezüglich des Nebenbesitzes.
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