178 Liebmann, Das Staatsrecht des Fürstenthums Reuß älterer Linie. 83.
halt im Lande. Keins seiner Regierungsrechte (wie auch kein Bestandtheil des Fürsten—
thums) kann ohne Zustimmung der Landesvertretung veräußert werden. Die Staatserb—
folge richtet sich, den Reußischen Haus- und Familienverträgen gemäß, nach den Grund—
sätzen der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge im Mannsstamm. Volljährig und
regierungsfähig werden der Fürst und die Prinzen seines Hauses mit dem zurückgelegten
21. Lebensjahr; jedoch können sie schon nach vollendetem 18. Jahr für volljährig und
regierungsfähig erklärt werden. Für die Dauer der Minderjährigkeit des Fürsten sowie
bei dauernder Verhinderung desselben am Regierungsantritt oder an der Fortführung
der Regierung tritt eine Regentschaft ein, zu deren Führung im ersten Fall mangels
anderweiter Verfügung die leibliche Mutter des Fürsten, eventuell der nächste volljährige
und regierungsfähige Agnat des Fürstlichen Gesammthauses, im zweiten Fall aber zuerst
der zur unmittelbaren Nachfolge berechtigte volljährige Prinz der ä. L., sodann die Ge—
mahlin, hierauf die Mutter des verhinderten Landesherrn, und an letzter Stelle der nächste
regierungsfähige Agnat des Gesammthauses berufen ist 1). Beim Regierungsantritt ver-
spricht der Fürst bei seinem Fürstlichen Wort, daß er die Verfassung des Landes aufrecht-
erhalten und gewissenhaft vollziehen wolle?). Verfassungsmäßige Regierungshandlungen
der Vorfahren sind von ihm anzuerkennen. Dafür, daß diejenigen Verfügungen in Re-
gierungsangelegenheiten, welche der Landesherr unterzeichnet, mit den Gesetzen und der
Verfassung des Landes übereinstimmen, sind die dabei mitwirkenden Oberbehörden ver-
antwortlich, und muß zur Bekundung dessen jede solche Verfügung bei Vermeidung der
Ungültigkeit von dem Vorstand der betreffenden Oberbehörde contrasignirt werden 2). —
Das Kammervermögen, dessen Hauptbestandtheil bedeutende Forsten bilden,
ist Haus-, Domanial= und Familiengut (Familienfideicommiß) des Fürstlichen Hauses.
Rücksichtlich der Verfügung über die Substanz desselben, sowie der Benutzung und Ver-
waltung bestehen für den Landesherrn keine anderen, als die im agnatischen Verhältniß
und in den Haus= und Familienverträgen des Reußischen Gesammthauses begründeten
Verpflichtungen. Dem Staat steht keinerlei Anspruch auf die Erträgnisse des Kammer-
vermögens und keinerlei Mitwirkung bei der Verwaltung desselben zu; dagegen hat er
auch weder eine Civilliste, noch Witthum, Apanagen und dergl. an die Mitglieder des
Fürstlichen Hauses zu gewähren?)).
§ 3. Behördenorganismus. Oberste staatliche Verwaltungsbehörde (zugleich Lehns-
curic) ist die Landesregierung. Die Angelegenheiten des Fürstlichen Hauses werden
jedoch von dem Geheimen Kabinet verwaltet, und für die Oberleitung des gesammten
Kirchen= und Schulenwesens besteht ein Konsistorium, sodaß sich das Ressort der
Landesregierung im Wesentlichen auf diejenigen Ministerialgeschäfte beschränkt, welche
die auswärtigen Angelegenheiten (einschließlich der aus den Beziehungen zum Reich sich
ergebenden), die innere Landes-, die Justiz= und die Finanzverwaltung betreffen. Von
der letzteren ist überdies die Verwaltung der Staatsschulden abgezweigt und einer be-
sonderen aus einem landesherrlichen Kommissar und einem zu dieser Funktion erwählten
Landtagsabgeordneten bestehenden Kommission übertragen. Landesregierung wie Kon-
sistorium sind Kollegialbehörden ohne Ressortabtheilungen. Die Verwaltung des Kammer-
vermögens mit Einschluß der Regalien, grundherrlichen Einkünfte u. s. w. steht unter
Leitung der nur dem Landesherrn verantwortlichen Fürstlichen Kammer. Eine Ab-
theilung derselben ist das Forstdepartement; daneben besteht ein Jagddepartement. —
Untere Landesverwaltungsbehörde für den Bereich der bei der Landesregierung ressor-
tirenden Verwaltungszweige im Allgemeinen ist, soweit nicht innerhalb der städtischen Ge-
meindebezirke den Gemeindevorständen als Organen der Staatsgewalt die bezüglichen Ge-
1) Ebend. 85 2—12. 2) Ebend. § 87. 3) Ebend. § 36. 4) Ebend. 88 16—19.