180 Liebmann, Das Staatsrecht des Fürstenthums Reuß älterer Linie. 88 5. 6.
8 5. Die Staatsangehörigen. Nachdem der Erwerb und Verlust der Staatsange—
hörigkeit, sowie die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten größtentheils reichs-
gesetzlich geregelt sind, bedarf es hier nur der Hervorhebung weniger Punkte. Ein allge-
meiner Huldigungseid wird von den Angehörigen des Fürstenthums nicht erfordert; wohl
aber haben dieselben bei der ersten Erwerbung von bewohnbarem Grundeigenthum, sowie
bisherige Ausländer bei der Aufnahme in den inländischen Unterthanenverband den sog.
Unterthaneneid zu leisten ). Jeder Staatsangehörige kann sich über gesetz= oder ordnungs-
widriges Verfahren einer Behörde bei der Oberbehörde und eventuell beim Landtag
schriftlich beschweren?).
Das Vereinswesen ist durch den im Fürstenthum verkündeten ) Bundesbeschluß v.
13. Juli 1854 geregelt.
Das Eigenthum ist unverletzlich, Enteignungen können nur auf Grund eines Gesetzes
und gegen angemessene Entschädigung vorgenommen werden"); es sind Expropriations-
gesetze für Herstellung öffentlicher Wege ?), Wasserleitungen, Flußregulirungen, Erweite-
rung von Kirchen und Schulen, Anlegung und Erweiterung von Friedhöfen), sowie für
Eisenbahnanlagen?') vorhanden. Jedem Staatsangehörigen steht der Abzug aus dem
Lande (auch in außerdeutsche Staaten) unter den gesetzlichen Voraussetzungen frei; Nach-
steuern und Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden).
§ 6. Die Gemeindeverfassung'). Die ganze Bevölkerung des Staates zerfällt in
Gemeinden, das ganze Staatsgebiet in Gemeindebezirke; jedoch gehören der Landesherr
und die Glieder seines Hauses keiner Gemeinde, und die Fürstlichen Schlösser nebst Zu-
behör sowie die Kameralforsten keinem Gemeindebezirk an.
Mitglieder einer Gemeinde sind alle diejenigen selbstständigen Personen, welche ent-
weder Wohngebäude im Gemeinde-Bezirk besitzen, oder innerhalb desselben ohne Grund-
besitz ihren wesentlichen Aufenthalt in selbstständigen Verhältnissen haben. Von der Ent-
schließung jeder Gemeinde hängt es ab, ob neben der Mitgliedschaft noch ein (nur durch
ausdrückliche Aufnahme in den Bürgerverband gegen Entrichtung eines Bürgergelds zu
erwerbendes) Ortsbürgerrecht bestehen soll. In denjenigen Gemeinden, wo dasselbe be-
steht, haben regelmäßig nur die Bürger das Recht der Mitbenutzung und Theilnahme
am Gemeindegut, und resp. die männlichen Bürger das Stimmrecht in Gemeindeange-
legenheiten, während diejenigen Gemeindemitglieder, welche nicht Bürger sind, (Schutzge-
nossen) nur den allgemeinen obrigkeitlichen Schutz genießen und an den zum allgemeinen
Gebrauch dienenden Ortseinrichtungen Theil nehmen. Wo dagegen kein Bürgerrecht be-
steht, stehen jene Rechte allen Gemeindemitgliedern, und insbesondere das Stimmrecht
allen selbstständigen unbescholtenen Reichsangehörigen männlichen Geschlechts zu, welche
entweder ein Wohngebäude im Gemeindebezeirk eigenthümlich besitzen oder länger als 3
Jahre wesentlich im Gemeindebezirk wohnhaft gewesen sind. Ausnahmsweise steht auch
juristischen Personen, Bevormundeten und Frauen das Stimmrecht zu.
Die Gemeinden haben das Recht der Persönlichkeit und verwalten ihre Angelegen-
heiten unter staatlicher Oberaufsicht selbstständig. Sie handhaben die Ortspolizei in einem
für die Städte und die Landgemeinden verschieden festgesetzten Umfang, wählen ihre Ver-
treter und Vorstände und können zur Erreichung der Gemeindezwecke dienende Ortsgesetze
(Ortsstatute) erlassen. Sie sind berechtigt, ihre Mitglieder resp. Flurgenossen zu besteuern,
und können dieselben auch zu persönlichen Dienstleistungen heranziehen. Verpflichtet sind sie
zur Herstellung und Erhaltung aller zur Erreichung der Gemeindezwecke erforderlichen
Einrichtungen und Ortsanstalten, z. B. Wege, Brücken, Brunnenleitungen, zur Armenpflege,
1) V. v. 29./8 73. 2) Verf. § 27. 3) V. v. 28./4 55. 4) Verf. § 30. 5) V.
v. 2./1 56. 6) V. v. 11/05 58. 7) G. v. 1875 70. 8) Verf. § 25. 9) G.G. v. 25./1 71
und v. 24./12 76, V. v. 17./4 71.