86. 7. Die Staatsangehörigen. — Die Gemeindeverfassung. 193
Die Anstellung durch Decret ist in der Regel eine lebenslängliche. Die Anstellung
durch Rescript ist in der Regel widerruflich, wird aber nach 25jähriger Dienstzeit un-
widerruflich. Die Gehalte werden monatlich vorausbezahlt. Die Verheirathung der
Staatsdiener unterliegt der Genehmigung der Dienstbehörde, darf aber nur bei offenbarer
Unzulänglichkeit der Mittel des betreffenden Staatsdieners oder bei üblem Rufe der Braut
versagt werden. Strafen gegen Beamte sind: Geldstrafe, Verweis, Verweis mit Androhung
der Suspension, Suspension mit oder ohne theilweise oder gänzliche Entziehung des
Gehalts, Rückversetzung, Dienstentlassung. Beamte können mit ¼ ihres Gehaltes zur
Disposition gestellt werden; richterliche Beamte aber nur bei länger als sechs Monate
andauernder Dienstunfähigkeit. Die Pensionirung von Beamten tritt auf deren Antrag
oder von Amtswegen ein, wenn dieselben dauernd unfähig geworden sind, oder das 70.
Lebensjahr oder 40 Dienstjahre zurückgelegt haben. Die Pension beträgt mindestens 40
und höchstens 80 Prozente des letzten Gehaltes. Der Pensionirte hat, wenn er nicht
durch grobes Verschulden seine Dienstunfähigkeit herbeigeführt hat, einen Rechtsanspruch
auf die Pension. Als Staatsdiener gelten auch die öffentlichen Lehrer; das Staatsdiener-
gesetz findet ferner auf die höheren Beamten der Domanialverwaltung Anwendung.
§ 6. Die Staatsangehörigen. Die auf der Landesgesetzgebung beruhenden Rechte
und Pflichten der Staatsangehörigen sind im Wesentlichen folgende:
Die Staatsangehörigen, welche Bürger einer Ortsgemeinde werden, erwerben das
Staatsbürgerrecht und sind verbunden, den Staatsbürgereid auf Treue gegen den Landes-
fürsten, Gehorsam gegen das Gesetz und auf Beobachtung der Landesverfassung zu leisten.
Das Vereins= und Versammlungsrecht der Staatsangehörigen ist durch Gesetz vom
5. Juli 1852 geregelt; außerdem ist der Bundestagsbeschluß über das Vereinswesen vom
Jahre 1854 (21. Sitzung) landesherrlich promulgirt. Die Grundsätze des erwähnten Ge-
setzes stimmen im Wesentlichen mit der preußischen Gesetzgebung überein. Enteignungen
sind nur auf Grund besonderer Gesetze und gegen vollständige Entschädigung zulässig.
Expropriationsgesetze allgemeinerer Art bestehen für Anlegung von Eisenbahnen (Gesetz
vom 15. März 1856) und für baupolizeiliche Zwecke (Gesetz vom 26. Juni 1856).
8 7. Die Gemeindeverfassung. Die Verfassung der Gemeinden des Landes ist zuerst
durch die Gemeindeordnung vom 13. Februar 1850 umfassend geordnet worden. Die
jetzt bestehende redivirte Gemeindeordnung datirt vom 17. Juni 1874.
Die ganze Bevölkerung des Staates zerfällt in Ortsgemeinden, das ganze Staats-
gebiet in Gemeindebezirke.
Jeder Einwohner des Landes, mit Ausnahme des Fürsten und der Mitglieder des
Fürstlichen Hauses, gehört einer Gemeinde an. Jedes Grundstück im Staate muß einem
Gemeindebezirk zugetheilt sein; ausgenommen sind nur die der unmittelbaren Benutzung
des Fürsten überwiesenen Schlösser, Gärten und Anlagen des Fürstlichen Hauses, sowie
Waldungen von größerem Umfange, welche weder zu Gutscomplexen gehören, noch mit
Grundstücken einer Gemeinde im Gemenge liegen. Ein gesetzlicher Unterschied zwischen
Stadt= und Dorfgemeinden besteht nur in wenigen Rücksichten.
Die Gemeinden haben das Recht der Persönlichkeit, verwalten ihre Angelegenheiten
selbstständig, üben die Ortspolizei aus, wählen ihre Vertreter und Vorstände, haben das
Recht Gemeindeabgaben zu erheben und sind berechtigt, Ortsstatute zu errichten. Dieselben
haben die Staatsgewalt bei Ausübung der Regierungsrechte zu unterstützen. Gemeinde-
angehörige (auch Frauen), welche eine selbstständige Nahrung haben und unbescholten sind,
sind berechtigt, das Bürgerrecht zu erlangen, und sind dazu verpflichtet, wenn sie drei
Jahre lang in einer Gemeinde ein selbstständiges Gewerbe betrieben oder ein Wohngebäude
daselbst erworben haben.
Das Bürgerrecht verleiht den männlichen Bürgern das Stimmrecht in der Gemeinde.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts. III. 2. II. 13