194 Müller, Das Staatsrecht des Fürstenthums Reuß jüngere Linie. § 7.
Die Gemeindeangelegenheiten werden verwaltet:
a. durch die Versammlung der stimmberechtigten Bürger,
b. durch den Gemeinderath,
e. durch den Gemeindevorstand.
In Gemeinden mit weniger als 300 Einwohnern kann von der Wahl eines Ge-
meinderathes abgesehen und können dessen Functionen von der Gemeindeversammlung aus-
geübt werden.
Die Gemeindeversammlung wählt den Gemeinderath und berathet und
beschließt über Gegenstände, welche entweder von der höheren Verwaltungsbehörde oder
durch übereinstimmenden Beschluß des Gemeinderathes und des Gemeindevorstandes der
Beschlußfassung der Gemeindeversammlung überwiesen werden. Der Gemeinderath
besteht je nach der Zahl der Einwohner aus mindestens 6, höchstens 39 Bürgern. Min-
destens die Hälfte der Mitglieder muß aus Hausbesitzern (in den größeren Orten) oder aus
Besitzern geschlossener Bauerngüter bestehen.
Die Wahl ist schriftlich und geheim. Die Mitglieder werden auf drei Jahre ge-
wählt. In jedem Jahre scheidet ein Drittheil der Mitglieder aus. Der Gemeinderath
vertritt die Gemeinde in ihren Rechten und Pflichten; derselbe beschließt über die Ange-
legenheiten der Gemeinde, insbesondere über die Verwaltung des Gemeindevermögens, über
alle Ausgaben zu Gemeindezwecken, über die Erhebung von Gemeindeabgaben, über die
Errichtung von Ortsstatuten; derselbe wählt den Gemeindevorstand, den Rechnungsführer
und Schriftführer, bestimmt die Gehalte der Gemeindebeamten und beschließt über deren
Anstellung auf Lebenszeit. Der Gemeinderath controlirt die Gemeindeverwaltung und
die Geschäftsgebahrung der Gemeindebeamten, prüft und justicifirt die Gemeinderech-
nungen und entscheidet über Ansprüche auf das Bürgerrecht oder den Unterstützungs-
wohnsitz.
Der Gemeindevorstand besteht der Regel nach aus einem Bürgermeister
und einem Stellvertreter desselben. In Gemeinden über 3000 Einwohnern kann derselbe
durch Ortsstatut collegialisch zusammengesetzt werden; Letzteres ist in den Städten Gera
und Schleiz geschehen. Die Mitglieder des Gemeindevorstandes werden auf 6 Jahre ge-
wählt; dieselben können aber auch mit Genehmigung des Ministeriums auf längere Zeit
oder lebenslänglich angestellt werden. Der Gemeindevorstand ist die ausschließlich aus-
führende Gemeindebehörde. Demselben steht insbesondere zu:
Die Ausübung der Ortspolizei, die Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse
des Gemeinderathes, die Verwaltung der Gemeindeanstalten und des Gemeindevermögens,
die Vertretung der Gemeinde nach Außen, die Vertheilung und Einziehung der Gemeinde-
abgaben, die Handhabung der Ortsstatute, die Ausführung von Beschlüssen der vorgesetzten
Behörden, die Leitung des Kassen-Rechnungs= und Actenwesens.
Für einzelne Geschäftszweige oder Angelegenheiten kann der Gemeinderath Commis-
sionen wählen, welche dem Gemeindevorstande unter dessen Leitung an die Hand gehen.
Gegen Beschlüsse des Gemeinderathes, welche über dessen Befugnisse hinausgehen oder
gegen Gesetze verstoßen, kann der Gemeindevorstand die Entscheidung der Ausfsichtsbehörde
einholen. Die Ausgaben der Gemeinde sind zunächst aus den Revenüen des Gemeinde-
vermögens zu bestreiten, im Uebrigen durch directe und indirecte Gemeindeabgaben auf-
zubringen. Schulden dürfen nur für außerordentliche Bedürfnisse aufgenommen werden
und sind mit jährlich mindestens 1 Prozent zu tilgen. Die directen Gemeindeabgaben sind,
wenn nicht ein besonderes Ortsstatut errichtet wird, nach Maßgabe der directen Staats-
steuern zu vertheilen.
Der Staat übt über die Gemeinden das Oberaufsichtsrecht aus, und zwar
gegenüber den Stadtgemeinden durch das Fürstliche Ministerium des Innern, gegenüber