86. Die Staatsangehörigen. 81
Versammlungen mindestens 24 Stunden vorher unter Angabe von Ort, Zeit und Zweck
der Ortspolizeibehörde anzuzeigen. Der Beginn der Versammlung eine Stunde nach der
angegebenen Zeit annullirt die vorausgegangene Anzeige. Dasselbe gilt, wenn eine Ver—
sammlung die länger als eine Stunde ausgesetzten Verhandlungen wieder aufnimmt. Die
Polizeibehörde ist befugt, Abgeordnete in die Versammlung zu senden, welche zu deren
Auflösung berechtigt sind, wenn die nöthigen Förmlichkeiten nicht beachtet worden sind, oder
der Inhalt der Verhandlungen in Bezug auf die Aufrechthaltung der Gesetze, sowie die
öffentliche Sicherheit und Ordnung Anlaß bietet.
Arbeiter-Vereinigungen und Verbindungen, welche socialistische, communistische oder
politische Zwecke verfolgen, sind verboten.
Versammlungen unter freiem Himmel, bezw. öffentliche Aufzüge können bei Gefahr
für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Oeffentliche Versammlungen unterfallen außer-
dem den Beschränkungen des Gesetzes über die Sonn-Fest= und Bußtagsfeier vom
3. April 1882.
c) Sicherheit des Eigenthums. Für wesentliche Staats= und Kommunal=
zwecke sowie im Interesse des Bergbaus (Berggesetz vom 18. April 1872 § 128 f. und
Gesetz über den Kohlenbergbau vom 18. April 1872 § 9) kann Privateigenthum gegen
volle Entschädigung in Anspruch genommen werden. Ueber die Nothwendigkeit der Ab-
tretung entscheidet die obere Verwaltungsbehörde, in Bergbausachen das Oberbergamt
(Ministerium Abthl. des Innern). Der Entschädigungsanspruch wird unter behördlicher
Leitung durch 3 Sachverständige, wovon jeder Theil Einen ernennt, festgestellt. Gegen
die Entschädigungsfeststellung in Bergbausachen findet nur der Rechtsweg statt.
Im Interesse des öffentlichen Wohls können Gegenstände des Privateigenthums
(Waffen u. s. w.) ganz oder für Zeit durch polizeiliche Verordnung gegen Entschädigung
dem gemeinen Besitze und Verkehr entzogen werden. (Grundgesetz 8 54 f.) In andern
Fällen, soweit sie nicht dem Gebiete der Reichsgesetzgebung angehören (ek. Reichsgesetz v.
23. Juni 1880), bedarf es eines Spezialgesetzes.
Konfiskationen von Eigenthum auf Grund von Handlungen gegen die Reichsstrafge-
setzgebung sind in solcher festgestellt.
Das steuerliche und polizeiliche Konfiskationsrecht, für welches sich die Bestimmungen
in der Zoll= und Steuergesetzgebung und in Polizei= und Marktordnungen finden, ist aus-
drücklich vorbehalten.
d) Freies Berfügungsrechtüber das Vermögen. Die Uebertragung
des Grundeigenthums an Ausländer ist unbeschränkt. Bei Erwerbungen im Auslande
mit persönlicher Ansässigmachung soll landesherrliche Erlaubniß eingeholt werden.
e) Freie Erwerbsbefugniß. Diese Materie fällt in der Hauptsache in das
Gebiet der Reichsgesetzgebung.
Für die mit der freien gewerblichen Bewegung nicht vereinbarlichen, durch die Ge-
werbeordnung vom 21. Juni 1869 aufgehobenen ausschließlichen Gewerbeberechtigungen,
Bann= und Zwangsrechte, ist nach Gesetz vom 2. Mai 1872 aus staatsfiskalischen Mitteln
Entschädigung zugesichert worden.
Monopole sollen weder ertheilt, noch ertheilte erneuert werden.
f) Anwartschaft auf Staats-, Kirchen= und Schulämter. Geburt
und Stand schließen nicht aus. Die Qualifikation des Anzustellenden ist Voraussetzung.
8) Freie Wahl in der Ausbildung und Theilnahme an den Bildungsanstalten im
Zusammenhange mit der freien Wahl des Standes oder Gewerbes. Für Benutzung der
Unterrichts= und Bildungsanstalten ist Voraussetzung, daß deren Statuten keine Beschrän-
kung enthalten.
h) Recht zur Verheirathung und Bildung eines Hausstands. Dieses verfassungs-
Handbuch des Oeffentlichen Rechts. III. 2. 11. 6