Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.2. Das Staatsrecht der Thüringischen Staaten. (6)

8 6. Die Körper der Selbstverwaltung, besonders die Gemeinden. 85 
früheren gesetzlichen Unterschiede zwischen Gemeindebürgern, Handwerksbürgern und Schutz- 
verwanpten (Grundgesetz § 101) hinfällig geworden. Vielmehr wird die Mitgliedschaft 
einer Gemeinde im Allgemeinen durch den Wohnsitz, in Dorfgemeinden sogar durch den 
bloßen Besitz von Grundeigenthum erworben, während die Ausübung der mit der Ge 
meindemitgliedschaft verbundenen Gemeinderechte an besondere Bedingungen (Alter, Ab- 
gabeentrichtung u. s. w.), in den Städten an die formale Aufnahme als Bürger, welche 
nicht selten auch besondere stadtordnungs= oder stiftungsmäßige Berechtigungen verleiht, 
gebunden ist (ef. Dorfordn. § 4). 
Außer den Staats-, Kirchen= und Schuldienern sollen auch Aerzte, Anwälte und 
Notare und andere im nicht unmittelbaren Staatsdienst stehende Personen als Mitglieder 
des Gemeindeverbands angesehen werden (Grundgesetz § 100), was nur noch für das 
städtische Bürgerrecht von Bedeutung ist. 
Das städtische Bürgerrecht geht jedenfalls außer in den in den Stadtordnungen vor- 
gesehenen Fällen mit der Staatsangehörigkeit verloren. 
Die Ausmärker oder Forenser haben außer dem allgemeinen Anspruch auf Schutz 
ihres Grundbesitzes (Grundges. § 106) in den Dorfgemeinden auch ein an die allgemeinen 
Erfordernisse gebundenes Wahl= und Stimmrecht und können zur Bestellung eines Vertreters 
(mit der Verpflichtung direkte Abgaben zu verlegen) genöthigt werden (Dorfordn. § 6, 
Ges. v. 21. Febr. 1855 § 15, Ges. v. 7. April 1879 § 11 u. a.). 
Die Gemeinden haben den Genuß der gesetzlichen Vorzüge der Minderjzährigen in 
Ansehung ihres Vermögens und ihrer Gerechtsame, das Recht der Erwerbung von Grund- 
besitz und Berechtigungen und das Recht der Verwaltuug ihres Vermögens durch selbst- 
gewählte Beamte im gesetzlichen Umfange, sowie zur Einführung besonderer Anstalten zu 
Gemeinde= oder andern gemeinnützigen Zwecken. 
Sie haben die Befugniß, sich eines gemeinschaftlichen Siegels zu bedienen, und die 
Aufnahme zu Gemeindebürgern, wo eine solche noch stattfindet. 
Die formale Giltigkeit der Beschlüsse richtet sich in den Dorfgemeinden nach den 
besonderen Bestimmungen der Dorfordnung, in städtischen Gemeinden nach den Stadt- 
ordnungen, eventuell nach den Erfordnissen in § 111 des Grundgesetzes, ordnungsmäßige 
Ladung aller Betheiligten und Stimmenmehrheit von zwei Drittheilen der Erschienenen oder 
absolute Stimmenmehrheit der Gemeindevertreter. 
Ihre Beschlüsse dürfen sich nicht über die Privatrechte von Einzelnen oder Korpo- 
rationen erstrecken. 
Für Gemeindeschulden haftet das Gemeindevermögen, aushilflich das Privatvermögen 
der einzelnen Mitglieder, später hinzutretende eingeschlossen. 
Es ist keiner Staatsbehörde gestattet, einseitig über Gemeindevermögen zu verfügen, 
noch weniger, dasselbe mit dem Staatsvermögen zu vereinigen. (Grundges. § 110—113.) 
Die Gemeinden haben das Recht der Besteuerung ihrer Mitglieder, das Ortspolizei- 
recht, in den Dorfgemeinden in beschränkterem Umfange, und ein Statutrecht, das in 
Dorfgemeinden auf Ordnung von Gemeindeverhältnissen und Bedürfnissen der allgemeinen 
Ordnung und Wohlfahrt beschränkt ist. (Grundgesetz § 117, 118, 120. Dorfordn. 8 8, 9, 46 
54—58. Ges. v. 17. Sept. 1869 § 8.) 
Sie stehen unter staatlicher Aufsicht, welche über Stadtgemeinden durch das Mini- 
sterium Abth. des Innern, über Landgemeinden durch die Landrathsämter ausgeübt wird. 
b. Die Stadtgemeinden. Nachdem die Gewerbeordnung den gewerblichen 
Unterschied zwischen Stadt und Land und alle auf öffentlichem Rechte beruhenden Sonder- 
berechtigungen beseitigt hat, die Justiz von der Verwaltung getrennt und den Dorfge- 
meinden eine stadtähnliche Organisation durch Einführung des Repräsentativsystemes und 
eines ausgedehnteren Statutrechts gegeben worden ist, ist mit Wegfall der Mehrheit der
	        
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