8. 44. Herzog Eberhard Ludwig. Die Wirthschaft der Grävenitz. 147
Stelle des Gehelmeraths, dem kaum noch das Recht der Begutachtung verblieb,
vertrat das von der Grävenitz gegründete „geheime Kabinet“, in welchem sie
(à la Maintenon) den Vorsitz führte. Sie gab eigene Audienzen und stiftete
einen eigenen Orden, verlangte sogar, daß sie ins Kirchengebet eingeschlossen
werde, worauf ihr Ostander entgegnete: „das geschleht jedesmal, wenn man betet:
erlöse uns von dem Uebel!“ Wer sich über ihr Regiment unzufrieden aussprach,
wurde verfolgt. Der Hofmarschall von Forstner, des Herzogs Jugend-
genosse und treuer Freund, hatte das Unwesen am Hofe satt und entwich nach
Straßburg, von wo aus er dem Herzog offen und freimüthig sein Verbrechen vor-
hielt. Die darüber erbitterte Landhofmeisterin setzte alles daran, um von Frank-
reich die Auslieferung oder Arrestation Forstners zu bewirken. Ein Kriminal-
prozeß, in welchem er bezichtigt wurde, den Hof wie ein Deserteur verlassen,
das Verbrechen des Kassendiebstahls, des Ehebruchs, des Giftmords, des Pas-
quillats, des Kirchenraubs und der Gotteslästerung begangen zu haben, wurde
von der Landhofmeisterin anhängig gemacht. Man hatte eigens einen sehr ge-
schickten und dabei sehr wllligen Advokaten, Dlietrich aus Bayreuth, verschrieben
und angestellt, damit er die Sache aburtheilen solle. Dietrich gab sich zu der
Schmach her, den Prozeß im Sinne der hochgestellten Anklägerin zu entschei-
den. Allein Forstner blieb in Paris, wo er auf Betreiben der Mutter Philipps
von Orleans bald der leichten Haft entledigt wurde. In Stuttgart schlug man
den Namen und das Bild des Verurtheilten an den Galgen, verbrannte seine
Papiere, auch den letzten Brief aus Paris, in welchem er der Grävenitz drohte,
auf seinem Schlosse zu Dambach auch sie aufhängen zu lassen, und belfügte:
„Wir würden dann die berühmtesten Prozessirten dieses Jahres sein!“ Auch
Forstners Plakate, die an allen Straßenecken Stuttgarts gefunden wurden, lleß
man ins Feuer werfen. Ihr Inhalt aber, daß alle jene württembergischen Mi-
nister, die sich in diesem Prozesse gebrauchen lassen, infame, verabscheuungs-
würdige Schurken seien, war zu deutlich aus dem Herzen jedes braven Würt-
tembergers gesprochen, als daß dieser Inhalt mit dem Papier hätte vertilgt
werden können. Forstner hatte Recht, wenn er sagt: „Es ist ein Fehler, wenn
man sich einblldet, daß ein geringes Feuer das Andenken einer Schrift aus-
löschen könne, die, so lange als das Leben währt, im Andenken bleibt. Diese
öffentliche Censur gibt vielmehr dergleichen Schriften ein neues Gewicht und
Zuwachs von Giltigkeit, und das Feuer des Scheiterhaufens beleuchtet den Ruhm
des Schriftstellers zur Schande seiner Gegner.“ — Auch auf der Kanzel durfte
die Wahrheit nicht gesprochen werden. Der Hofprediger Urlsperger, durch
die Grävenitz selbst von Stetten nach Stuttgart berufen, fand sich eine Zeitlang
in das Hosfwesen. Aber als ihm sein vertrauter Freund August Hermann Franke
bei einem Besuche sagte: „Ich komme zu dir im Namen Gottes, dir zu sagen, daß
du ein stummer Hund bist, und daß, wenn du nicht umkehrst und als ein öffent-
licher Lehrer die Wahrheit frei heraussagst, du verloren gehst, trotz aller deiner
Erkenntniß“, predigte er am Karfreitag 1718 entschleden die Wahrheit. Außer-
dem war er in den Besitz von Geheimnissen gelangt, welche sich auf die Grävenitz
bezogen. Urlsperger wurde nun ohne Weiteres entlassen und erhilelt erst 2 Jahre
später das Dekanat Herrenberg 1).
1) Im Jahr 1723 gieng er nach Augsburg, wo er 1727, erst 42 Jabre alt, starb.
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