K. 49. Rückblick. Fortsetzung. Kirche und Schule, Wissenschaften und Künste. 177
Merkwürdig ist seine „Erklärte Offenbarung Johannis“ seine Ansicht
ist, daß nach dem Sturze des Antichrists ein tausendjähriger herrlicher Zustand
der Kirche und nach dlesem eine Auferstehung der Märtyrer und eine tausendjäh-
rige Regentschaft derselben im Himmel eintreffen werde. Am Schluß dieser
2000 Jahre komme die allgemeine Auferstehung der Todten und das jüngste Ge-
richt. Den Anfang des ersten tausendjährigen Reichs setzte er auf das Jahr
1836 fest. — Bengel starb 1752. Sein Geist wirkt heute noch in vielen reli-
giösen Gemeinschaften unseres Landes fort, welche sich zur „altwürttembergischen
oder Bengel'schen Schule“ rechnen.
Noch zu seinen Lebzeiten waren ein Gesangbuch (1742) und ein
Generalreskript in Betreff der Privatversammlungen (1743)
erschlenen. Es hatte sich in Württemberg, wie in ganz Deutschland, eine neue
geistliche Liederdichterschule gebildet; voran steht „der Vater des württem-
bergischen geistlichen Gesangs“ Hedinger, dann Konrad Hiller, From-
mann, Martin Wieland und Philipp Friedrich Hiller, dessen
„Geistliches Liederkästlein“ heute noch weit verbreitet ist. Aus den thellweise
schon gedruckten Liedern dieser Dichter wurde eine strenge Auswahl getroffen; auch
treffliche Lieder anderer Dichter, sogar fremder Konfessionen wurden aufgenommen.
WVon der allgemeinen Beliebtheit dieses Gesangbuchs zeugt am meisten der Wider-
stand, auf den die gewaltsame Einführung des „verwässerten“ Gesangbuchs vom
Jahr 1791 stieß. Die Auswahl der Lieder für das Gesangbuch vom Jahr
1742 traf der Stiftsprediger Dr. Tafinger. — Bezüglich der Privatversamm-
lungen wurde in dem Generalreskript (1743) verordnet, ges sei erlaubt und ge-
billigt, daß Ortsgeistliche, gottesfürchtige Schulmeister und auch Privatpersonen
Erbauungsstunden halten in der Zeit, welche nicht für den Gottesdienst bestimmt
sei. Die Ortsgeistlichen haben freien Zutritt zu den Versammlungen und über
dieselben zu wachen. Separatisten und Sektirern sei die Thellnahme zu verbieten;
es sollen sich nicht mehr als fünfzehn Personen an einer Versammlung bethelligen
u. s. w.“ Der Verfasser dieses Edikts war der Geheimerath und Konsistorial-=
präsident Bilfinger.
Die Aufklärung oder der Rationali smus in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts drang auch in Württemberg ein, wo unter der Re-
gierung der drei letzten Herzoge das sittliche Leben des Volkes gesunken war.
Zunächst ergriff der neue Zeitgeist die höheren Schichten; auch Herzog Karl neigte
sich der Aufklärung zu. Der Kern des Volkes dagegen blieb fest bei der alten
Wahrheit und sammelte sich treu um die Männer, welche dem Rationalismus
keck die Stirne boten. Hiezu zählen wir zwei Schüler Bengels, Christoph
Friedrich Oetinger, Prälat in Murrhard, und Jeremias Friedrich
Reuß, Kanzler der Universttät Tübingen, außer ihnen Stiftsprediger Storr,
Dekan Burck in Kirchheim, Dekan Steinhofer in Weinsberg, Stiftsprediger
Karl Heinrich Rieger und der obengenannte Pfarrer Hiller in Steinheim.
Aber ganz konnten sie den flutenden Strom nicht aufhalten. Glieng doch Preußen
mit dem traurigen Beispiel voran, und dieses Land war den deutschen Höfen und
den gebildeten Kreisen das Muster 1). Bahrdt, Dr. der Theologie und später
1) Friedrich der Große von Preußen hatte im Jahr 1780 durch sein Kon-
sistorium ein neues Gesangbuch einführen lassen. Als dasselbe bei vielen Gemeinden
Staiger, Geschichte Württembergs. 12