#§# 24. Die Morgenröthe einer neuen Zeit. 59
§. 24.
Die Morgenröthe einer neuen Zeit.
„Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“
Schiller.
Die verschiedenen mittelalterlichen Einrichtungen Deutschlands in Staat
und Kirche giengen rasch ihrem Verfall und Untergang entgegen. Die Kaiser-
macht war gesunken, theils durch die Begründung der Macht der deutschen
Fürsten, thells durch das Emporwachsen benachbarter Länder. Das Ansehen
der römischen Kirche war gebrochen durch die Spaltung im eigenen Schoße,
durch den unsittlichen Lebenswandel des größten Theils der Geistlichkeit, sowie
durch die reformatorischen Bestrebungen der letzten Jahrhunderte; der Ritter-
stand war verfallen durch die Veränderung des Heer= und Kriegswesens in
Folge der Erfindung des Schießpulvers; die Adelsmacht war geschwächt
durch das Zunehmen der Fürstenmacht und die Entwicklung der handels= und
gewerbthätigen Städte.
An die Stelle des Alten und Morschen sollte etwas Neues und Haltbares
treten. Alle Verhältnisse in Staat und Kirche, in Kunst und Wissenschaften, in
Handel und Gewerbe bedurften einer gründlichen Verbesserung, Umwandlung und
Erneuerung. Als Vorboten dieser neuen Zett betrachten wir zunächst die
Entdeckungen und Erfindungen des 15. Jahrhunderts. Fernandez
entdeckte 1445 das grüne Vorgebirge, Dlaz 1486 das Cap der guten
Hoffnung, Christoph Columbus 1492 Amerika, Ferdinand Cortez
eroberte Merico, Franz Pizarro Peru. Ferdlnand Magelhaens unter-
nahm die erste Reise um die Welt (1520); Vasco de Gama fand den Seeweg
nach Ostindien (14y8). Alle diese Entdeckungen, die größtentheils für die Krone 1408.
Spaniens und Portugals gemacht wurden, waren in der Folge für Europa von
großer Bedeutung. Die seither bedeutendsten Handelsstaaten, Venedig, Genua,
Pisa und die deutsche Hansa, verloren nach und nach ihre Wichtigkeit und
Stellung und traten diese zunächst an Spanien und Portugal, dann an Holland
und England ab.
Wie auf materiellem Gebiet, so wurden auch auf dem geistigen die Riegel
gesprengt. Als man mit der Literatur der alten Völker näher bekannt wurde,
fiengen die Wissenschaften wieder an aufzublühen. Dies Streben fand
seine bedeutendste Förderung durch die Erfindung der Buchdrucker kunst
(Johannes Guttenberg, 1440). Der Sammelplatz der gelehrtesten Männer
war im 15. Jahrhundert das Haus der Mediceer in Florenz. „Ste ehrten
und belohnten nicht nur die Gelehrten auf fürstliche Weise, sondern beauftragten
auch ihre Handelsagenten in allen Ländern, jede Gelegenheit zur Erwerbung
von Handschriften für die mediceische Blbliothek zu benützen; ja sie lleßen Ge-
lehrte auf ihre Kosten reisen, um Griechenlands literarische Schätze aufzusuchen“ 1).
Die Eroberung Konstantinopels durch die Türken (1453) brachte die meisten
morgenländischen Gelehrten nach Itallen herüber, wo sie mit großer Freude be-
grüßt und aufsgenommen wurden. Das Studlum der alten Klassiker be-
gründete die humanistische Bildung, stellte seine Anhänger den ver-
knöchertern Scholastikern auf's schroffste gegegenüber und sieng an, das zwischen
1) S. Dittmars „Geschichte der Welt“, Bd. IV., S. 321 ff.