Stellungskrieg und innere Linie 147
Deutsche Kriegslehre sucht in der Bewegung und in der Niederringung
des feindlichen Heeres die Entscheidung, aber es gibt Lagen, in denen das
Siillsigen in der Verteidigung zu unabweisbarer Pflicht und Notwendig-
keit wird.
In einer solchen Lage befand sich im November 1914 das deutsche
Heer im Westen, das die Folgerungen aus der Entwicklung des Feldzuges
ziehen und die Einheit des Kriegstheaters im Westen und Osten anerkennen
mußte, nachdem der Sommerfeldzug an der Marne angehalten und
der Herbstfeldzug an der Dser erstarrt war. Man hatte nach und nach
weitausgespannte, durchlaufende Grabenlinien bezogen, die in den Flanken
nicht mehr bedroht werden konnten, und war in den errungenen Stellungen
auf flandrischer und französischer Erde zur strategischen Verteidigung über-
gegangen.
Als Friedrich der Große gegen Ende des Jahres 1758 sein hin und
her geworfenes Heer abgenügtzt sah, wurde er sich der kaum zu bewöltigenden
Aufgabe voll bewuße, die ihm der Krieg mit dem ringsum gelagerten feind.
lichen Europa aufgebürdet hatte. Er bezeugt das in den Betrachtungen zur
Kriegführung, die er am 27. Dezember niederschrieb, durch die Worte:
„Das Gewicht von Europa lastet auf uns. Wir müssen mit unseren Armeen
stets unterwegs sein, um bald eine Grenze zu verteidigen, bald einer Pro.
vinz zu Hilfe zu eilen.“ Dieses friderizianische Wort malt nicht n##r die
strategische Lage des eingekreisten Königs, sondern läßt auch seine Strategie
der inneren Linien deutlich durchschimmern.
Oeutschland und seine Verbündeken haben 160 Jahre später vor der-
selben strategischen Aufgabe gestanden, die durch die Abschneidung vom
Meere und die Größenverhältnisse des Welikrieges ins Uner meßliche ge-
rückt wurde. Aber das „Unterwegs"“ war der Kriegführung des zwanzigsten
Jahrhunderts durch die Eisenbahnen erleichtert. Dazu trat als Aushilfe und
aus den Werhältnissen entstanden die Errichtung des Kordons, die im
Westen um sich griff und die Fortführung des Krieges mit vereinigten
Kräften auf einer Front gestattete, nachdem die übermenschliche Auf-
gabe, zugleich auf zwei Fronten zu schlagen, nach fast völligem Gelingen
schließlich eine halbe Lösung gefunden hatte. Diese Lösung zwang die
Mittelmächte im Westen zum Stellungskrieg und bürdete diesen auch den
Engländern und Franzosen auf.
Engländer und Franzosen waren dadurch benachteiligt, daß sie als
die Außenstehenden allen Anlaß hatten, einen methodischen Durchbruch
auf breiter Front vorzubereiten, denn der Gegner stand auf französischem
Voden und bediente sich der inneren Linie und der eroberten Gebiete
mit Nutzen.