Wer von der Mehrheit hat den Mut, das einzugestehen? Wer
von ihr wird es den Wählern erzählen? Oie Herren, die heute
in ihre Wahlkreise gehen, werden erstens staatsmännische Ge-
sichter aufstecken und Herrn Omnes über ihre bitter schwere
Verantwortlichkeit etwas vorstöhnen; und zweitens am Ende
gar, wie Fehrenbach gestern am Schluß der Sitzung, eine
Männerzähre herauedrücken: „Gott erbarme sich unseres
armen Baterlandes!“ Has ist billig, wenn man selber seines
eigenen Vaterlandes sich nicht erbarmt, sondern es verraten
und verkauft hat.
Wir haben mit Recht manches unserer alten Diplomatie
vorwerfen müssen. Sie hat böse Zrrwege eingeschlagen, die
zum Verderben führten. Aber doch ist selbst sie nicht so von
einer Torheit zur anderen getaumelt wie in diesen Tagen
die Erleuchteten der Nation. Das Schwanken war endemisch.
In jeder einzelnen Fraktion der Mehrheit. Jede neue Ab-
stimmung warf die alte um, jeder neue Redner sogar über-
zeugte den Vorgänger von dessen Dummheit, um dann seiner-
seits vor dem nächsten Redner kleinlaut zu werden. Ein belie-
biger junger Beamter oder Offizier des „alten Systems“
hätte, wenn ihm allein die Berantwortung übertragen worden
wäre, männlicher, folgerichtiger, erfolgreicher gehandelt als
diese parlamentarische Vielheit, die sich bei jedem Umwetter
wie eine Schafberde zusammendrängt.
Einer der Ortsgeister, denen Ebert gehuldigt hat, Schiller,
hat das schon vor mehr als hundert Lahren gewußt, daß Männer
Geschichte machen, nicht Volksversammlungen. „Oie Mehr-
heit ist der Unsinn“, sagt Schiller. Niemals hätte eine kaiser-
liche Politik uns so würdelos in den Sumpf taumeln lassen
wie die Herdenpolitik der Bielzuvielen von Weimar, dieser
schwankenden Gestalten ohne Verstand und ohne Überzeu-
zungsmut.
172