Full text: Friedrich der Vorläufige, die Zietz und die Anderen.

gehen. Der Abg. Dr. Stresemann und andere Parteiführer, 
die anfangs vielleicht mit leisem Grauen an Weimar dachten, 
sagen es offen heraus: in Berlin würde man lange nicht so 
prompt die vorläufige Reichsverfassung unter Dach und Fach 
bringen wie voraussichtlich hier. Man ist in Weimar ganz 
ungestört. Mit der Eisenbahn kommt niemand ohne besonderen 
Ausweis hber, und auch sämtliche Landstraßen sind in weitem 
Umkreis abgesperrt. Selbst der Bauer, der zu Markte 
fährt, braucht einen Paß. Wie bei der Papstwahl die Kar- 
dinäle in Rom zum Konklave eingemauert werden, so sind 
hier die Abgeordneten in Klaufur, bis sie den Grund zum 
Reichsneubau gelegt haben. . 
Zn Berlin würde die Oemonstrationsfreiheit, die die Re- 
publik uns gebracht hat, dauernd zu Aufzügen vor dem Reiche- 
tag führen. Man müßte ständig Abordnungen empfangen. 
Und wenn das souveräne Volk „seine Vertreter sehen will“, 
dann mühssen sie sich eben sehen lassen. Der Weimaraner da- 
gegen sagt seelenruhig: „Mir sin nich neichierich, mir blei'm 
ze Hause!“ — und sogar die für das Publikum offenstehenden 
Hintersitze in den drei Rängen sind bisher noch an keinem 
Tage ganz besetzt gewesen. Welch ein Massenansturm dagegen 
an „großen Tagen"“ in Berlin! Weder der Reichstagedirek- 
tor, noch die Abgeordneten können sich dort der Leute er- 
wehren, die unter allen Umständen Weltgeschichte miterleben 
möchten. 
Und nicht zuletzt: Das Weimarer Landestheater ist blitz- 
sauber, der Berliner Reichstag aber Hheute, nach den ver- 
schiedenen Tagungen von allerlei „Räten“, nach den Schieße- 
reien des Januar, nach der Einquartierung der republika- 
nischen Schutzwehr — gelinde gesagt, der Reinigung dringend 
bedürftig. Nach Monaten vielleicht erst ist er brauchbar wie 
ehedem. Und so muß denn auch die Presse, die am härtesten 
die Ungunst der Umstände in Weimar empfindet, um der 
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