8 30. Organisation, Geschäftsgang und Disciplin des Landtags. 89
frage in wesentlicher Verbindung stehen und sind, wenn sie nicht bereits gedruckt vertheilt worden,
unmittelbar nach ihrer Einbringung zu verlesen.
Besonders behandelt werden Gesetzentwürfe und selbstständige Anträge; bei den-
selben findet nämlich zuerst eine allgemeine Verhandlung, die sog. Generaldiskussion statt;
darauf folgt erst die Verhandlung über die einzelnen Artikel oder Paragraphen und die sich
daran anschließenden Abänderungsanträge. Die Fragestellung ist Sache des Präsidenten,
doch kann darüber vom Hause verhandelt und endgültig beschlossen werden. Die Fragen sind
so zu stellen, daß sie mit Ja oder Nein beantwortet werden können.
Anlangend den Schluß und die Vertagung der Debatte, so bestimmt die Geschäfts-
ordnung des Herrenhauses §§ 49 ff., daß Anträge auf Vertagung der Sitzung, Absetzung
eines Gegenstandes von der Tagesordnung, Vertagung oder Schluß der Debatte oder Wieder-
eröffnung der schon geschlossenen Diskussion von jedem Mitgliede mündlich oder schriftlich ge-
stellt werden können, jedoch der Unterstützung von 15 Mitgliedern bedürfen; dieselben werden,
nachdem das Wort einmal für und einmal gegen gestattet worden, zur Abstimmung gebracht.
Nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses (§ 54) bedarf der Antrag auf Ver-
tagung oder Schluß der Debatte der Unterstützung von dreißig Mitgliedern. Erfolgt dieselbe,
so wird die Rednerliste verlesen und demnächst ohne weitere Motivirung des Antrags und ohne
Diskussion über denselben abgestimmt.
Nach Art. 80 V. U. faßt jedes Haus alle seine Beschlüsse nach absoluter Stimmen-
mehrheit vorbehaltlich der durch die Geschäftsordnung für Wahlen etwa zu bestimmenden
Ausnahmen. Die Abstimmung erfolgt durch Aufstehen oder Sitzenbleiben. Bei Stimmen-
gleichheit wird die Frage als verneint angesehen. Ist das Ergebniß einer Abstimmung zweifel-
haft, so wird die Gegenprobe gemacht. Liefert auch diese kein sicheres Ergebniß, so erfolgt die
Zählung des Hauses. Ergiebt die Zählung im Herrenhause eine Majorität von weniger als
10 Stimmen, so kann ohne Unterstützung von jedem Mitgliede auf namentliche Abstimmung
angetragen werden. Außerdem muß ein derartiger Antrag vor dem Beginne der Abstimmung
über die vorliegende Frage eingebracht und im Herrenhause von mindestens 15, im Abgeord-
netenhause von mindestens 50 Mitgliedern unterstützt werden. Sofort nach Beendigung der
Abstimmung wird vom Präsidenten das Ergebniß derselben verkündigt ).
Eine zweite Abstimmung nach Ablauf von 21 Tagen nach der ersten ist erforderlich
gemäß Art. 107 V. U., wenn es sich um eine Verfassungsänderung handelt2). Außerdem
schreiben die Geschäftsordnungen beider Häuser auch noch für gewisse andere Fälle eine zweite
Abstimmung vor (Rönne a. a. O. S. 334 ff.).
IV. Die Sitzungen beider Häuser sind nach Art. 79 V. U. öffentlich, jedoch kann die
Oeffentlichkeit für eine Sitzung ausgeschlossen werden. Zu diesem Zwecke tritt jedes Haus auf
den Antrag seines Präsidenten oder von zehn Mitgliedern zu einer geheimen Sitzung zusammen,
in welcher zunächst über den Antrag auf Ausschluß der Oeffentlichkeit zu beschließen ist.
Der Grundsatz der Oeffentlichkeit bezieht sich nur auf die Plenarsitzungen beider Häuser,
nicht auf die Sitzungen der Ausschüsse und Abtheilungen. Die Oeffentlichkeit der Sitzungen
1) Eine besondere Form der Abstimmung im Abgeordnetenhause ist der sog. Hammelsprung.
Auf Aufforderung des Präsidenten verlassen sämmtliche Mitglieder den Sitzungssaal, dessen Thüren mit
Ausnahme einer Thür zur Rechten und einer zur Linken des Bureaus verschlossen werden. An jeder
dieser Thüren stellen sich je zwei Schriftführer auf. Auf ein vom Präsidenten mit der Glocke gegebenes
Zeichen treten die Abgeordneten, welche mit „Ja“ stimmen wollen, durch die rechte Thüre, diejenigen,
welche mit „Nein“ stimmen wollen, durch die linke Thüre ein; die an jeder der beiden Thüren stehen-
den Schriftführer zählen laut die eintretenden Mitglieder. Hierauf schließt der Präsident das Skrutinium.
Der Präsident und die dienstthuenden Schriftführer geben ihre Stimmen nachträglich ab. (8 59 der
Gesch. O. des Abgeordnetenhauses.)
2) Daß vor der gemäß Art. 107 V. U. erforderlichen zweiten Abstimmung noch eine Diskussion
zulässig ist, wird sich nicht bestreiten lassen.