108 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. IV. Kapitel. 8 35.
zelnen Provinzen sind ferner den Oberpräsidenten gewisse Anstalten und Einrichtungen besonders
überwiesen worden 1).
Sehr erheblich erweitert wurde der Wirkungskreis der Oberpräsidenten in Bezug auf
die jura circa sacra sowohl gegenüber der katholischen wie der evangelischen Kirche durch die
kirchenpolitischen Gesetze der 70er Jahre 2). (Vgl. darüber §§ 136 u. 137.)
Nach § 32 der V. v. 30/4. 1815 sollte endlich der Oberpräsident in der Regel zugleich
Präsident derjenigen Regierung sein, welche an seinem Wohnorte ihren Sitz hat, jedoch das
Recht haben, die Führung dieses Präsidiums dem Vicepräsidenten der Regierung ganz oder
theilweise zu übertragen.
Die Oberpräsidenten sind dem Staatsministerium und jedem einzelnen Minister für
dessen Wirkungskreis untergeordnet und verpflichtet, die besonderen Aufträge zu vollziehen.
Sie haben alljährlich einen allgemeinen Bericht über den Zustand der Provinz an das Staats-
ministerium zu erstatten und die Jahresberichte der ihnen untergeordneten Behörden an die
einzelnen Ministerien über die Resultate der zu ihrem Ressort gehörenden Verwaltung zu
übersenden.
Die Einrichtung der Oberpräsidenten wurde auch auf die neuen Provinzen Schleswig-
Holstein, Hessen-Nassau und Hannover übertragen. Bezüglich der beiden ersten Provinzen
haben der A.E. v. 20/6. 1868 und die V. v. 22/2. 1867 im Zusammenhange mit dem A.GE.
v. 7/12. 1868 bestimmt, daß der Wirkungskreis der Oberpräsidenten dieser Provinzen alle
diejenigen Angelegenheiten in sich begreifen solle, welche in den alten Provinzen der Monarchie
dem Oberpräsidenten zu eigener Verwaltung oder in Stellvertretung der obersten Staatsbe-
hörden oder als Oberaufsichtsbehörde übertragen sind, und daß diese Verwaltung nach Vor-
schrift der Instr. v. 31/12. 1825 und der hierzu ergangenen ergänzenden Bestimmungen zu
führen sei. Ebenso wurde durch A.E. v. 16/9. 1867 ein Oberpräsident für Hannover bestellt,
dessen Wirkungskreis durch die A.O. v. 27/5. 1868 in wesentlicher Uebereinstimmung mit den
übrigen Provinzen geregelt wurde.
Was die neuen Reformgesetze anlangt, so wurde bezüglich der Oberpräsidenten in der
Ende Januar 1875 dem Abgeordnetenhause vorgelegten Denkschrift über die Organisation der
allgemeinen Landesverwaltung ausgeführt: Bei der Schaffung des Instituts der Oberpräsidenten
sei man von dem Gedanken ausgegangen, daß in demselben ein Vereinigungspunkt der ge-
sammten Provinzialregierung, ein einflußreiches persönliches Element dem Kollegialsystem der
Regierung gegenüber geschaffen werden solle, daß aber die Oberpräsidenten keine Mittelinstanz
zwischen den Ministerien und den Regierungen bilden, sondern die ihnen anvertrauten Geschäfte
unter ihrer besonderen Verantwortlichkeit als commissarii perpetui des Ministeriums führen
sollten. Bei der Durchführung der Organisation sei aber der ursprüngliche Gedanke vielfach
verlassen worden, und im Laufe der Zeit sei es dahin gekommen, daß je thatkräftiger die Ober-
präsidenten persönlich waren, sie umsomehr die Stellung einer Mittelinstanz zwischen den Re-
gierungen und dem Ministerium einnahmen, so daß schließlich die Zahl der Instanzen in ein-
zelnen Fällen bis auf fünf stieg. Diese Verhältnisse sprächen zwar keineswegs für eine Be-
seitigung des Instituts der Oberpräsidenten, wie dies früher wiederholt verlangt wurde, sondern
nur für eine Reform desselben. Bei dieser Reform sollte nach der Denkschrift der Gedanke
leitend sein, die Ministerien möglichst von allem Detail zu entlasten.
Diese Entlastung wurde theilweise durch die Dotationsgesetze v. 30/4. 1873 und 8/7.
1875 bewirkt, durch welche verschiedene Zweige der sog. wirthschaftlichen Selbstverwaltung an
die Provinzialverbände übergingen, andererseits erfolgte sie durch Uebertragung aller derjenigen
Angelegenheiten der obrigkeitlichen Staatsverwaltung an die Provinzialbehörden, deren Er-
1) Vgl. die Aufzählung bei Rönne a. a. O. S. 181 ff.
2) Rönne a. a. O.; Stengel, die Organisation u. s. w. S. 77/78.