Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

110 Zweites Buch: Staat und Staatsverfafsung. IV. Kapitel. § 35. 
Die Stellvertretungsbefugniß des Oberpräsidialraths kann übrigens auch dadurch be- 
seitigt werden, daß die zuständigen Minister (des Innern und der Finanzen) in besonderen 
Fällen eine andere Stellvertretung anordnen. 
Der Wirkungskreis des Oberpräsidenten erstreckt sich zunächst auf alle Angelegenheiten, 
welche demselben durch frühere Gesetze und Verordnungen überwiesen worden sind, soweit deren 
Bestimmungen nicht durch die neuen Reformgesetze eine Abänderung erfahren haben. 
Die Reformgesetze haben aber dem Oberpräsidenten außerdem hauptsächlich folgende 
Gegenstände überwiesen: 1. das Recht, mit Zustimmung des Provinzialraths Polizeiverord- 
nungen zu erlassen, L. V.G. § 137; 2. die Funktionen des königlichen Kommissarius gegenüber 
dem Provinziallandtage; 3. eine Reihe von Befugnissen in Bezug auf die Kommunalangelegen- 
heiten der Kreise und der Provinzialverbände, insbesondere das Oberaufsichtsrecht zweiter bzw. 
erster Instanz über die Selbstverwaltungskörper; 4. den Vorsitz im Provinzialrath, L. V. G. 
§110, und das Recht der Anfechtung von Beschlüssen dieser Behörde wegen Machtüberschreitung 
und Gesetzwidrigkeit, L.V.G. § 126; 5. die dienstliche Aufsicht auf die Geschäftsführung des 
Bezirksausschusses, L. V. G. § 48; 6. die Entscheidung von Beschwerden gegen polizeiliche Ver- 
fügungen des Regierungspräsidenten, sowie gegen ortspolizeiliche Verfügungen in Berlin, 
L.V.G. 8§ 127, 130, 137; 7. die Befugniß zur Bestätigung der Kreisdeputirten, § 75 a. Kr.O. 
und die entsprechenden Paragraphen der übrigen Kr. OO.; 8. das Recht der Ernennung der 
Amtsvorsteher und ihrer Stellvertreter a. Kr. O. 5§ 56—58, schlesw.--holst. a. Kr. O. 8§ 48 ff.; 
9. eine Anzahl von einzelnen Befugnissen hinsichtlich verschiedener Angelegenheiten. (Vgl. dar- 
über die Aufzählung bei Stengel, Organisation S. 433 f.) 
2. Der Provinzialrath. Derselbe besteht nach L.V.G. § 10: 1. aus dem Ober- 
präsidenten, bezw. dessen Stellvertreter als Vorsitzenden; 2. aus einem vom Minister des 
Innern auf die Dauer seines Hauptamtes am Sitze des Oberpräsidenten ernannten höheren 
Verwaltungsbeamten, bezw. dessen Stellvertreter; 3. aus fünf Mitgliedern, welche vom Pro- 
vinzialausschusse aus der Zahl der zum Provinziallandtage wählbaren Provinzialangehörigen 
gewählt werden. Für die letzteren werden in gleicher Weise fünf Stellvertreter gewählt. Wähl- 
bar sind darnach zum Provinzialrath mit Ausnahme der nicht angesessenen Militärpersonen des 
aktiven Dienststandes, alle selbstständigen, 30 Jahre alten, im Besitze der bürgerlichen Ehren- 
rechte befindlichen deutschen Reichsangehörigen, welche in einem der zur Provinz gehörigen 
Kreise seit einem Jahre einen Wohnsitz haben oder Grundeigenthum besitzen. Als selbstständig 
gilt derjenige, dem das Recht über sein Vermögen zu verfügen und dasselbe zu verwalten, nicht 
durch gerichtliche Anordnung entzogen ist. Ausgeschlossen von der Wählbarkeit zum Provinzial- 
rath sind: a) der Oberpräsident; b) die Regierungspräsidenten; c) die Vorsteher königlicher 
Polizeibehörden; d) die Landräthe; e) die Beamten des Provinzialverbandes. 
Nach §§ 11 und 12 L.V.GG. erfolgt die Wahl der Mitglieder des Provinzialraths und 
ihrer Stellvertreter auf sechs Jahre, sofern nicht auf Grund des § 13 L.V.G. die Dauer der 
Wahlperiode durch Provinzialstatut anders bestimmt worden ist. Alle drei Jahre scheidet die 
Hälfte der gewählten Mitglieder und Stellvertreter und zwar das erste Mal die nächst größere 
Zahl aus und wird durch neue Wahlen ersetzt. Die Ausscheidenden bleiben jedoch in allen 
Fällen bis zur Einführung der Neugewählten in Thätigkeit. Die das erste Mal Ausscheidenden 
werden durch das Loos bestimmt. Wiederwahl ist zulässig. Für die im Laufe der Wahlperiode 
außerordentlicherweise ausscheidenden Mitglieder und Stellvertreter haben Ersatzwahlen statt- 
zufinden. Die Ersatzmänner bleiben aber nur bis zum Ende desjenigen Zeitraumes in Thätig- 
keit, für welchen die Ausgeschiedenen gewählt waren. 
Nach Art. III G. v. 19/5. 1889 müssen in der Provinz Posen die gewählten Mit- 
glieder des Provinzialrathes und deren Stellvertreter vom Minister des Innern bestätigt werden. 
Wird die Bestätigung versagt, so wird zu einer erneuten Wahl geschritten, wird auch diese 
Wahl nicht bestätigt, so hat der Minister das Mitglied, bezw. den Stellvertreter zu ernennen.
	        
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