120 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. IV. Kapitel. § 36.
eignete Personen, welche seit mindestens einem Jahre dem Kreise durch Grundbesitz oder Wohn-
sitz angehören, in Vorschlag zu bringen. Zu bemerken ist jedoch, daß die Krone an den Vor-
schlag des Kreistages nicht gebunden ist, so daß den Kreistagen ein wirkliches Präsentations-
recht nicht zusteht. „Geeignet“ zur Bekleidung der Stelle eines Landraths sind diejenigen
Personen, welche 1. die Befähigung zum höheren Verwaltungs= oder Justizdienste erlangt haben
oder 2. dem Kreis seit mindestens einem Jahre durch Grundbesitz oder Wohnsitz angehören und
zugleich mindestens während eines vierjährigen Zeitraums entweder a) als Referendare im Vor-
bereitungsdienste bei den Gerichten und Verwaltungsbehörden oder b) in Selbstverwaltungs-
ämtern des betreffenden Kreises, des Bezirks oder der Provinz — jedoch nicht lediglich als
Stellvertreter oder als Mitglieder von Kreiskommissionen — thätig gewesen sind. Auf den
Zeitraum von vier Jahren kann den zu 2b bezeichneten Personen eine Beschäftigung bei höheren
Verwaltungsbehörden bis zur Dauer von zwei Jahren in Anrechnung gebracht werden (a. Kr. O.
§ 74 und die entsprechenden Paragraphen der übrigen Kr. OO.).
Als Stellvertreter des Landraths kann für kürzere Verhinderungsfälle (höchstens 14
Tage) der Kreissekretär eintreten, welcher übrigens an Stelle des Landraths weder im Kreis-
ausschusse noch im Kreistage den Vorsitz führen kann, da für diese Fälle besondere Vorschriften
bestehen.
Im Uebrigen wird der Landrath durch die Kreisdeputirten vertreten, deren zwei behufs
Stellvertretung des Landraths vom Kreistage auf je sechs Jahre aus der Zahl der Kreisan-
gehörigen gewählt werden. Die Kreisdeputirten bedürfen der Bestätigung des Oberpräsiden-
ten und sind vom Landrathe zu vereidigen.
Der Landrath steht an der Spitze der Verwaltung des Kreises und führt die Geschäfte
der allgemeinen Landesverwaltung, soweit dieselben nicht anderen Behörden überwiesen sind,
im Kreise und zwar handelt er innerhalb seines Geschäftskreises selbstständig, unter voller
persönlicher Verantwortlichkeit vorbehaltlich der kollegialischen Behandlung (im Kreisausschusse)
der durch die Gesetze bezeichneten Angelegenheiten (§§ 3 und 36 L.V.G.). (Ueber den Vorsitz
im Kreisausschuß und Kreistag s. o.)
Die Vorschrift des § 3 bezw. § 36 L.V.G. wiederholt im Wesentlichen den oben
mitgetheilten Inhalt der V. vom 30/4. 1815. In gleichem Sinne bestimmt auch § 77 a.
Kr.O., daß, soweit die Rechte uud Pflichten des Landraths nicht durch die Kr.O. selbst abge-
ändert sind, es bei den darüber bestehenden Vorschriften auch ferner sein Bewenden hat.
Wenn hiernach also die früheren Vorschriften hinsichtlich der Stellung und des Wirkungs-
kreises des Landraths grundsätzlich in Kraft geblieben sind, so haben doch die Reform-
gesetze seinen Wirkungskreis vielfach erweitert und ebenso ist seine Stellung, namentlich im
Zusammenhange mit der Stellung des Kreisausschusses eine unabhängigere und selbst-
ständigere geworden. Während früher der Schwerpuukt der Verwaltung im Regierungs-
bezirk und in der Bezirksregierung lag, und der Landrath im Wesentlichen als Vollzugsorgan
der Regierung erschien, ist nach den neuen Verwaltungsgesetzen die Bedeutung des Kreises
und der Kreisverwaltung erheblich gewachsen und wie auf den Kreisausschuß manche Zustän-
digkeit der Bezirksregierung übergegangen ist, so hat auch die Stellung des Landraths ge-
wonnen, der z. B. das Recht erhielt, kreispolizeiliche Verordnungen zu erlassen. Im Einzelnen
sind von den dem Landrathe durch die Reformgesetze eingeräumten Befugnissen hauptsächlich
folgende hervorzuheben: 1. Erlaß kreispolizeilicher Verordnungen (L.V.G. 8 142); 2. Recht
zur Anwendung der im L.V. G. § 132 aufgeführten Zwangsmittel; 3. Entscheidung von Be-
schwerden in Bezug auf polizeiliche Verfügungen der Ortspolizeibehörden auf dem Lande
(L.V.G. § 127); 4. Aufsicht auf die Geschäftsführung der Amtsvorsteher und (als Vorsitzender
des Kreisausschusses) über die Verwaltung der Angelegenheiten der Amtsverbände, Land-
gemeinden, Gutsbezirke und Landbürgermeistereien (Zust.G. § 24); 5. Recht der Anfechtung
ungültiger Beschlüsse des Kreisausschusses (L.V.G. 8§ 126); 6. Erstinstanzielle Entscheidung