126 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. IV. Kapitel. § 37.
§ 37. Die Rechtspflege und die Iustizverwaltung 1). I. Die V. U. v. 31/1. 1850
enthält eine Anzahl von Bestimmungen, durch welche die staatsrechtlichen Grundlagen der
Rechtspflege geregelt sind. In Betracht kommt hier zunächst Art. 42 V. U. der sich auf die
Aufhebung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit bezieht, dann der von der richterlichen Gewalt
handelnde Titel VI (Art. 86 ff.). Da gegenwärtig das Gerichtswesen durch die Reichsjustiz-
gesetze einheitlich geregelt ist, so sind die betreff. Vorschriften in der Verfassungsurkunde in der
Hauptsache durch die einschlägigen reichsgesetzlichen Vorschriften ersetzt. Hervorzuheben ist da-
bei, daß die durch die Reichsjustizgesetze erfolgte einheitliche Regelung der Rechtspflege sich nur
auf die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit bezieht, dagegen nicht auf die Führung der Justiz-
verwaltung und die Handhabung der nichtstreitigen Rechtspflege, so daß insoweit das Landrecht
uUnverändert in Kraft geblieben ist. Die ordentliche Gerichtsbarkeit umfaßt aber diejenigen Civil-
streitsachen und Strafsachen, welche vor die ordentlichen Gerichte, d. h. die Amtsgerichte, Land-
gerichte und Oberlandesgerichte und das Reichsgericht gehören.
Die auf dem Reichsrecht, bezw. Landesrecht beruhenden strafrechtlichen Grundsätze be-
züglich der Rechtspflege sind hiernach folgende:
1. Staatlicher Charakter der Rechtspflege: Durch Art. 40 V. U. v. 5/12. 1848
und durch den gleichlautenden Art. 42 V. U. v. 31/5.1850 war der Grundsatz der Aufhebung
aller Patrimonialgerichtsbarkeit ausgesprochen worden, zu dessen Verwirklichung die V. v. 2/1.
1849 (G. S. S. 1 ff.) erging, die jede Art der standesherrlichen, grundherrlichen und städtischen
Gerichtsbarkeit, sowie die geistliche Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten aufhob. In
demselben Sinne bestimmt § 15 R.G.V.G.: „Alle Gerichte sind Staatsgerichte. Die Privat-
gerichtsbarkeit ist aufgehoben. Die Ausübung einer geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen
Angelegenheiten ist ohne bürgerliche Wirkung. Dies gilt insbesondere bei Ehe= und Verlöbniß-
sachen.“ Im Einklang damit schreibt Art. 86 V. U. vor, daß die richterliche Gewalt im Namen
des Königs ausgeübt wird und die Urtheile im Namen des Königs ausgefertigt und vollstreckt
werden.
2. Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter. Dieser Grundsatz kommt zu-
nächst zum Ausdruck in Art. 86 V. U. und in dem fast wörtlich gleichlautenden § 1 G.V.’G.,
wornach die richterliche Gewalt durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes
unterworfenen Gerichte ausgeübt wird. Durch diese Bestimmungen, wie auch durch § 485
R. Str. Pr. O., wornach Todesurtheile zu ihrer Vollstreckung keiner Bestätigung bedürfen, ist
namentlich auch jede Kabinetsjustiz ausgeschlossen. Um den Grundsatz der Unabhängigkeit der
Gerichte zur Wahrheit zu machen, sind eine Reihe von Bestimmungen getroffen, welche die
Richter persönlich unabhängig zu stellen bezwecken. Hier kommen namentlich in Betracht die
Vorschrift des Art. 87 V. U., bezw. §§ 6 u. 8 G.V.G., wornach die Ernennung der Richter
durch den König auf Lebenszeit erfolgt, der ihnen ertheilte Amtsauftrag sonach grundsätzlich
ein unwiderruflicher ist und die Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung
die Klage beim Bezirksausschusse zu Potsdam statt (5 3). Bei Feuersbrünsten, Aufläufen, Tumulten
und ähnlichen Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung sind in Fällen, welche keinen Aufschub
zulassen, die Exekutivbeamten des Polizeipräsidiums zu Berlin in der Stadt Berlin benachbarten Amts-
bezirken, sowie im Polizeibezirke der Stadt Charlottenburg auch ohne vorangegangenes Ersuchen der
zuständigen Ortspolizeibehörde Amtshandlungen vorzunehmen berechtigt. Der letzteren ist jedoch von
der Vornahme der Amtshandlungen unverzüglich Anzeige zu erstatten. Auch ist beim Eintreffen des
Ortspolizeiverwalters oder seines Stellvertreters den Anordnungen derselben Folge zu leisten. Diese
Bestimmungen finden auf die Exekutiv-Beamten der Polizeidirektion zu Charlottenburg mit der Aus-
dehnung sinngemäße Anwendung, daß dieselben auch im Polizeibezirke der Stadt Berlin Amtshand-
lungen vorzunehmen befugt sind.
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., I. Bd., S. 454 ff., III. Bd. S. 337 ff.
— Schulze, das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., II. Bd. S. 64 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht,
III. Bd. S. 62 ff. — Struckmann und Koch, die preuß. Ausf.-Gesetze zu den Reichsjustizgesetzen (1879).