134 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. IV. Kapitel. § 37.
theilten Ministers kann es nur auf Antrag derjenigen Kammer ausgeübt werden, von welcher
die Anklage ausgegangen ist; b) der König kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf
Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen.
Was die zweite Einschränkung des Begnadigungs= bezw. Abolitionsrechts anlangt, so ist
behauptet worden, daß das Abolitionsrecht der Landesherren durch § 152, Abs. 2 R. Str. Pr.O.
im Zusammenhalte mit § 346 Str. G. B. und § 154 R. Str. Pr.O. beseitigt sei; diese Ansicht
ist, wie Seuffert a. a. O. S. 149 hervorhebt, unbegründet, weil § 152 a. a. O. die Staats-
anwaltschaft nur dann zur öffentlichen Klage anweist, wenn eine gerichtlich strafbare Hand-
lung vorliegt; im Falle zulässiger Abolition, bezw. Amnestie ist aber eine solche nicht mehr
gegeben. Für die Frage der Zulässigkeit der Abolition ist daher nach wie vor Art. 49 Abs. 3
V. U. maßgebend, welche für die Abolition ein Gesetz verlangt, wenn die Untersuchung bereits
eingeleitet ist, d. h. die gerichtliche Voruntersuchung oder wo eine solche nicht stattfindet, das
Hauptverfahren eröffnet ist (Str. Pr. O. 88 182, 201).
Da in der Ausübung des Begnadigungsrechtes seitens des Königs die Vornahme einer
Regierungshandlung liegt, so bedürfen die betreffenden Entschließungen des Königs der mini-
steriellen Gegenzeichnung wie jeder andere Regierungsakt des Königs. Ebenso kann der König
das Begnadigungsrecht wie jede andere Regierungsbefugniß delegiren, da nirgends die Aus-
übung dieses Rechts durch den König in Person vorgeschrieben ist. In der That sind nach
wie vor Erlaß der Verfassungsurkunde wiederholt Delegationen für ganze Klassen von Fällen
geschehen ½.
Bei gemeinschaftlichen Gerichten steht das Begnadigungsrecht demjenigen Staate
zu, welcher zur Strafverfolgung ursprünglich berechtigt war, d. h. in der Regel dem, in dessen
Gebiet die Strafthat begangen war?).
VI. Die sog. freiwillige Gerichtsbarkeits), welche die Vollziehung, Beur-
kundung und Bestätigung gewisser Rechtsgeschäfte, das Nachlaßwesen, die Stiftungs-, Familien-
fideikommiß= und Lehenssachen, das Grundbuch= und Hypothekenwesen, die Vormundschafts-
sachen, das Hinterlegungswesen und die Führung der Handels-, Genossenschafts-, Muster-,
Schiffs= und ähnlicher Register umfaßt, ist durch die Reichsjustizgesetze nur insoweit berührt
worden, als ihre Geschäfte meistens auf die durch die neue Gerichtsorganisation geschaffenen
Organe übergingen und einzelne Grundsätze des neuen Verfahrens auf die freiwillige Gerichts-
barkeit für anwendbar erklärt worden sind. Dies gilt insbesondere von den Vorschriften über
Zustellungen, über den Urkunden-, Zeugen= und Sachverständigen-Beweis und über das Ver-
fahren bei Eidesabnahmen. Im Uebrigen sind einzelne der oben erwähnten Angelegenheiten,
wie namentlich die Beurkundung des Personenstandes, die Führung einzelner Register, wie
z. B. der Handelsregister und die Beglaubigung öffentlicher Urkunden reichsgesetzlich geregelt;
außerdem kommt das Landesrecht zur Anwendung. Insoweit die oben aufgeführten Angelegen-
heiten Verwaltungsbehörden übertragen sind, sind sie hier nicht zu berücksichtigen. Hier
ist nur die Zuständigkeit der Gerichte zur Besorgung der Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit zu besprechen. In Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit bilden die Amts-
gerichte die erste und die Landgerichte die zweite Instanz, während als dritte Instanz, soweit
eine solche überhaupt zugelassen ist, das Oberlandesgericht zu Berlin für ganz Preußen bestellt
ist. Im Einzelnen sind die Amtsgerichte zuständig 1. für die auf die Führung der Handels-
register, der Genossenschaftsregister, der Musterregister und der Schiffsregister bezüglichen Ge-
schäfte; 2. für die im H. G. B. sowie im G. v. 1/5. 1889, betr. die privatrechtliche Stellung
der Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften den Gerichten zugewiesenen, von den Prozeß-
1) Arndt, Verordnungsrecht S. 172. — Rönne a. a. O., L, S. 546 ff. — J.M. Bl. 1868,
S. 333; 1869 S. 26; 1881 S. 31.
2) Seuffert a. a. O. S. 152. — Arndt, die Verf.-Urkunde f. d. preuß. Staat S. 75.
3) Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und Verwaltung u. s. w., 6. Aufl. S. 257 ff.