Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

162 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. V. Kapitel. 8 44. 
IV. Das Defektenverfahren ist ein Verwaltungsverfahren, das den Zweck hat, in 
gewissen Fällen dem Staat unter vorläufiger Ausschließung des Rechtswegs auf kürzestem 
Wege Ersatz für die von seinen Beamten zu vertretenden Fehlbeträge (Defekte) zu verschaffen, 
die sich an den dienstlich in ihren Gewahrsam gelangten Geldern und anderen Gegenständen 
ergeben haben. Das Defektenverfahren ist eingeführt durch die V. v. 24/1. 1844 (G. S. S. 52) 
und durch spätere Verordnungen auch auf die neuerworbenen Gebiete ausgedehnt worden. 
Gegenstand des Defektenverfahrens ist der Kassendefekt!h, d. h. der in einer Staatskasse- 
oder anderen Staatsverwaltung entdeckte Minderbetrag des Istbestandes gegenüber dem rech- 
nungsmäßigen Sollbestande dadurch entstanden, daß letzterer ganz oder zum Theil durch Ver- 
schulden des verantwortlichen Beamten der Staatsverwaltung entzogen ist. Der Defekt muß 
ferner zur Zeit, wo das Defektenverfahren in Frage kommt, noch bestehen. Im Uebrigen ist 
es gleichgültig, ob der das Defektenverfahren begründende Defekt öffentliches oder Privatver- 
mögen, Gelder oder andere Gegenstände betrifft, wenn dieselben nur entweder zu einer Staats- 
kasse oder einer anderen Staatsverwaltung gebracht oder vermöge vorschriftsmäßiger amt- 
licher Anordnung in den Gewahrsam eines Beamten gekommen sind, für welchen, falls es 
sich um Privatvermögen handelt, der Staat dem Berechtigten gegenüber haftet, so daß er 
demselben Ersatz leisten muß. 
Der zum Ersatz heranzuziehende Beamte muß mit den in Verlust gerathenen Gegen- 
ständen amtliche Befassung gehabt haben; diese dienstliche Beziehung des Beamten zu den 
abhanden gekommenen Gegenständen braucht indessen nur zur Zeit der Entstehung des Defekts 
bestanden zu haben. Der spätere Uebertritt des Beamten in eine andere Dienststellung oder 
in den Ruhestand macht das Defektenverfahren wider ihn nicht unzulässig. Auch dem nach 
Entstehung des Defekts verstorbenen Beamten gegenüber behält das Defektenverfahren seine 
Bedeutung, indem hiedurch die Ersatzansprüche des Fiskus in Bezug auf das nachgelassene 
Vermögen, namentlich die etwaige Kaution des Beamten festgestellt wird. Das Defektenver- 
fahren beschränkt sich auf die Fälle, in welchen der Beamte den Defekt durch Unterschlagung 
als Thäter bezw. Theilnehmer oder durch grobes Verschulden herbeigeführt hat. Ist der Defekt 
durch eine andere strafbare Handlung als Unterschlagung oder durch ein Versehen entstanden, 
welches dem Beamten nicht als grobes Versehen (A.L. R. I, 3 § 18) zugerechnet werden kann, 
so findet das Defektenverfahren keine Anwendung und der Staat ist, wie in allen anderen 
Fällen, in denen die Voraussetzungen des Defektenverfahrens nicht zutreffen, auf den ordent- 
lichen Rechtsweg angewiesen. 
Zur Eröffnung und Durchführung des Defektenverfahrens ist diejenige Behörde befugt, 
zu deren Geschäftskreis die unmittelbare Aufsicht über die Kasse= oder andere Verwaltung 
gehört, oder welche dem mit dem Gewahrsam betrauten Beamten unmittelbar vorgesetzt ist. 
Ist durch eine (kommissarische) Untersuchung unter Anhörung der Betheiligten und Erhebung 
der erforderlichen Beweise festgestellt, welcher Betrag dem Istbestand am Sollbestande fehlt 
und welcher Beamte und in welchem Umfange er für den Defekt verantwortlich zu machen ist, 
so hat die zuständige Behörde einen (motivirten) Defektenbeschluß zu erlassen, in welchem der 
Betrag, bezw. Geldwerth des Defekts und die Person des ersatzpflichtigen Beamten festgestellt 
und zugleich angeordnet wird, welche Vollstreckungs= und Sicherheitsmaßregeln behufs Ersatzes 
des Defekts zu ergreifen sind. Der Beschluß ist vollstreckbar, wenn die beschließende Behörde 
die Eigenschaft einer Central= oder Provinzialbehörde hat; andernfalls nur nach erfolgter 
Bestätigung der vorgesetzten Provinzialbehörde. Der vollstreckbare Beschluß ist dem für ersatz- 
pflichtig erklärten Beamten zu eröffnen. 
  
1) Nicht dem Defektenverfahren unterliegen die Rechnungsdefekte, d. h. Minderbeträge, die 
bei vorhandenem Sollbestand darin ihren Grund haben, daß Zahlungen und Leistungen auf die Kasse- 
oder andere Verwaltung im Widerspruch mit den bestehenden Vorschriften angewiesen worden sind.
	        
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