8 48. Die Verordnungen. 173
II. Rechtsverordnungen sind diejenigen Verordnungen, welche sich nicht blos an
die Behörden richten, sondern Rechtsvorschriften für die Unterthanen enthalten. Solche Rechts-
verordnungen sind nach preuß. Rechte: 1. Die Ausführungsverordnungen zu deren Er-
laß nach Art. 45 V. U. der König ermächtigt ist. Solche Verordnungen enthalten Vorschriften
über die Ausführung und Vollziehung von Gesetzen und haben in der Regel die Eigenschaft
von Dienstanweisungen an die mit dem Vollzuge der betreffenden Gesetze betrauten Behörden.
In den Ausführungs-Verordnungen können aber auch Rechtsvorschriften für die Unterthanen
gegeben sein, zu deren Erlaß die Regierung durch das betr. Gesetz ermächtigt ist und die sich
daher im Rahmen dieser Ermächtigung halten müssen. Das Recht zum Erlasse der Ausfüh-
rungsverordnungen kann der König auch ausdrücklich oder stillschweigend an die Minister über-
tragen. 2. Polizeiverordnungen vgl. § 53. 3. Nothverordnungen s. sub III. 4. Sog.
selbstständige Verordnungen, d. h. Rechtsvorschriften für die Unterthanen, welche der
König erlassen kann, ohne daß er sich auf eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zu berufen
braucht. Ob der König das Recht zum Erlasse solcher Verordnungen hat, ist bestritten, die
Frage ist aber auf Grund der in § 47 dargelegten Abgrenzung des Umfangs der gesetzgebenden
Gewalt zu bejahen. Freilich ist thatsächlich die Möglichkeit des Erlasses solcher Verordnungen
erheblich beschränkt, da die meisten Verwaltungsgebiete in weitem Umfange durch Gesetz ge-
regelt sind.
Dos Recht zum Erlasse selbstständiger Verordnungen kann ebenso wie das zum Erlasse
von Ausführungsverordnungen auf die Minister bezw. andere Behörden übertragen sein.
Die Rechtsverordnungen müssen, weil sie für die Unterthanen bindend sein sollen, wie
Gesetze publicirt werden. Landesherrliche Verordnungen werden in der Gesetzessammlung ver-
öffentlicht, die Verordnungen der Behörden durch die verschiedenen Ministerial= und Amtsblätter.
III. Die Nothverordnungen#9. Nach Art. 63 V. U. können, wenn die Aufrechthaltung
der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend
erfordert, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesammten
Staatsministeriums vom Könige Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit
Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammen-
tritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.
Der Art. 63 V. U. ertheilt dem König das Recht, Angelegenheiten, die außerdem in der
Form des Gesetzes, also unter Mitwirkung des Landtags geregelt werden müssen, einseitig in
der Form der Verordnung zu regeln, wenn die in Art. 63 angegebenen Voraussetzungen zu-
treffen. Derartige Verordnungen — Nothverordnungen — stehen rechtlich einfachen Gesetzen
gleich, können daher auch Gesetze aufheben oder abändern, nur dürfen sie nicht der Verfassung
zuwiderlaufen, d. h. sie können nicht die Verfassung und auch kein Verfassungsgesetz aufheben
anlangt, so ist auf Grund der V.V. v. 1/12. 1866 und 29/1. 1867 (G. S. 1866 S. 743 und 1867
S. 139) § 5 ein „Amtsblatt für Hannover“ und ein „Amtsblatt für Hessen“ (Regierungsbezirk Kassel)
geschaffen worden (J. M. Bl. 1867 S. 2 und 148), während das „Verordnungsblatt für Schleswig-
Holstein“ als Amtsblatt beibehalten wurde (J. M. Bl. 1867 S. 148). Ferner wurde ein Amtblatt „für
den Regierungsbezirk Wiesbaden“ (mit Ausnahme des Stadtkreises Frankfurt a M. und des Ortsbezirks
Rödelheim) und ein „Amtsblatt für den Stadtkreis Frankfurt aM.“ (mit Rödelheim) geschaffen (M. Bl.
f. d. i. V. 1869 S. 2).
Endlich kommt noch in Betracht der deutsche Reichs= und kgl. preuß. Staatsanzeiger
(seit 1/7. 1851) der u. A. enthält: 1. die Gesetze, 2. die Cirkul.-Verfügungen sämmtlicher Ministerien und
Centralbehörden, 3. die zur Verbreitung geeigneten Cirkul.-Verfügungen der Oberpräsidenten, 4. diejenigen
Bekanntmachungen der übrigen Behörden, die sonst in mehr als ein Amtsblatt aufgenommen werden
müßten (J.M. Bl. 1851 S. 118).
1) C. A. Chr., die Verordnungen mit Gesetzeskraft in Aegidi's Zeitschrift für deutsches Staats-
recht, I, S. 221 ff.