200 Drittes Buch: Die allgemeinen Funktionen der Staatsgewalt. II. Kapitel. § 55.
Grundlage durch das G. v. 3/7. 1875, betr. die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das
Verwaltungsstreitverfahren, weiter gebaut. Durch dieses Gesetz wurde vor Allem in dem „Ober-
verwaltungsgericht“ §§ 17 ff. ein oberster Gerichtshof für Verwaltungsrechtsstreitigkeiten ge-
schaffen. Als Verwaltungsgericht zweiter Instanz und in gewissen Sachen erster Instanz wurde
für jeden Regierungsbezirk ein „Bezirksverwaltungsgericht“ bestellt, bestehend aus fünf Mit-
gliedern, von denen zwei, darunter der Direktor des Bezirksverwaltungsgerichts, vom Könige
auf Lebenszeit ernannt, die übrigen vom Provinziallandtage gewählt wurden (8 9 a. a. O.).
Zum Kreisverwaltungsgericht wurde der Kreisausschuß bestellt (§ 8 a. a. O.).
Das G. v. 3/7. 1875 hat dann ferner die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte
und das von denselben zu beobachtende Verfahren genauer geordnet (§§ 31 ff. a. a. O.), während
die sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte durch das Zust. G. v. 26/7. 1876 geregelt
wurde.
Das G. v. 26/7. 1880 über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung (G. S.
S. 291 ff.)hat die Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wie dieselbe durch das G. v. 3/7.
1875 geschaffen worden war, im Wesentlichen unberührt gelassen und ebenso enthält die Nov. v.
2/8. 1880 zum G. v. 3/7. 1875 keine principiellen Aenderungen. Dagegen hat allerdings
das L.V.G. v. 30/7. 1883 die bisherige Gesetzgebung nicht unwesentlich umgestaltet. Zunächst
trat in formeller Beziehung eine Aenderung insofern ein, als die Bestimmungen des Org.G. v.
26/7. 1880 und die meisten Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsgesetzes v. 3/7. 1875 mit
mancherlei Aenderungen in dem Landesverwaltungsgesetz zusammengeschmolzen wurden, so daß
vom V. G.G. v. 3/7. 1875 nur die von der Stellung und Zusammensetzung des Oberverwalt-
ungsgerichts handelnden §§ 17—30a und § 88 in ihrer bisherigen Stellung und Fassung
blieben, die übrigen Paragraphen dieses Gesetzes aber mit den erforderlichen Aenderungen Auf-
nahme im Landesverwaltungsgesetz gefunden haben. In materieller Hinsicht trat die Neuerung
ein, daß an die Stelle des Bezirksverwaltungsgerichts und des durch die Pr.O. v. 29/6. 1875
§8 62 ff. geschaffenen, für „Beschlußsachen" zuständigen „Bezirksraths eine einheitliche Behörde,
der „Bezirksausschuß“, geschaffen wurde (L. V.G. §§ 28 ff.), welche sowohl Beschlußbehörde wie
Verwaltungsgericht ist und aus dem Regierungspräsidenten als Vorsitzenden, zwei vom Könige
ernannten Beamten und vier durch den Provinzialausschuß gewählten Mitgliedern besteht.
Was die sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte anlangt, so wurde dieselbe durch
das neue Zust.G. v. 1/8. 1883 gegen früher mehrfach verändert.
II. Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die Entscheidung über öffentliche Rechte und
Pflichten. Nicht selten ist aber den Verwaltungsgerichten auch die Entscheidung noch in anderen
Fällen übertragen, namentlich in solchen, in welchen es sich nicht um öffentliche Rechte und
Pflichten, sondern lediglich um die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, namentlich die Ein-
haltung der verschiedenen Zuständigkeitsgrenzen, handelt.
Das trifft auch nach preußischem Rechte zu, nach welchem, formell betrachtet, die Ver-
waltungsrechtsstreitigkeiten mit den sog. „streitigen Sachen“ zusammen fallen, da in §7 L.V.G.
der Ausdruck „Entscheidung in Verwaltungsstreitverfahren“ als gleichbedeutend mit „Ver-
waltungsgerichtsbarkeit“ gebraucht wird.
Betrachtet man nun die „streitigen Sachen“ ihrem Wesen nach, so ergeben sich folgende
Kategorieen:
A. Streitigkeiten über öffentliche Rechte und Pflichten. Hierher gehören alle Fälle,
in welchen es sich um die Benutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinden, Kreise, Pro-
vinzen u. s. w. oder Theilnahme an den Nutzungen des Gemeindevermögens oder anderer Ver-
mögensmassen auf Grund öffentlich-rechtlicher Titel, um Ausübung des Wahlrechts in Kreis,
Gemeinde und Provinz und in sonstigen Selbstverwaltungskörpern, um Tragung von Ge-
meindelasten, Zahlung von Kreis= und Provinzialabgaben, überhaupt Uebernahme öffentlicher
Lasten irgend welcher Art handelt.