Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

8 55. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. 201 
Auch der Fall des 8 127 bezw. 128 L. V. G. gehört hierher, welcher gegen polizeiliche 
Verfügungen die Verwaltungsklage unter der Voraussetzung zuläßt, daß behauptet wird, daß 
der angefochtene Bescheid durch Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung von Rechtsvor- 
schriften den Kläger in seinen Rechten verletzt. 
Endlich sind auch in diese Kategorie die Fälle zu rechnenl, in denen nach Maßgabe der 
8§ 44, 49 des Einkommensteuergesetzes v. 24/6. 1891 und der §§ 37 ff. des Gewerbsteuerge- 
setzes v. 24/6. 1891 das Oberverwaltungsgericht angegangen werden kann. 
B. Rechtsstreitigkeiten, in denen es sich nicht — oder doch nur nebenher — um den 
Schutz subjektiver Rechte handelt, dagegen die Aufrechthaltung der öffentlichen Rechts- 
ordnung an sich in Frage steht. Hierher gehören die Fälle, in welchen Klage gegen die Ver- 
fügungen der staatlichen Aufsichtsbehörden erhoben wird, durch welche Beschlüsse des Kreistags, 
Provinziallandtags und anderer Organe der Selbstverwaltungskörper als ungesetzlich oder un- 
zulässig beanstandet werden, oder eine Zwangsetatisirung ausgesprochen wird, z. B. a. Kr.O. 
§ 178, a. Pr.O. § 118, Zust.G. 88 15, 28. 
Ferner sind hierher zu rechnen die Fälle des L.V.G. § 126, betr. die Anfechtung unzu- 
lässiger oder ungesetzlicher (endgiltiger) Beschlüsse des Provinzialraths, Bezirksausschusses und 
Kreisausschusses durch den Oberpräsidenten, Bezirkspräsidenten und Landrath mittelst Klage 
vor dem Oberverwaltungsgerichte. 
Endlich können hierher auch diejenigen Fälle gerechnet werden, in welchen die Mitglieder 
von Wahlversammlungen ein stattgehabtes Wahlverfahren zunächst mittelst Einspruch anfechten 
können und dann gegen den diesen Einspruch verwerfenden Beschluß des Kreistags, Provinzial- 
landtags u. s. w. die Verwaltungsklage zu erheben befugt sind, z. B. a. Kr. O. 8 113, a. Pr.O. 824. 
C. Die Entscheidung in Disciplinarsachen der Beamten der Selbstverwalt- 
ungskörper. 
D. Einzelne Angelegenheiten, welche ihrer Natur nach als Beschlußsachen erscheinen, 
durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift aber dem Verwaltungsstreitverfahren überwiesen sind, 
wie z. B. die Klage gegen gewisse gewerbliche Konzessionen versagenden Beschlüsse (§ 114 Zust.G.). 
E. Manche Angelegenheiten, bei welchen, wie bei den Auseinandersetzungen in Folge 
von Veränderungen von Kreis= oder Provinzgrenzen, die Entscheidung schiedsrichterlichen 
Charakter an sich trägt (§8§ 3 und 4 a. Kr. O. und § 2 a. Pr.O.). 
F. Endlich finden sich unter den sog. „streitigen Sachen“ sogar einzelne, welche ihrem 
Wesen nach als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten bezeichnet werden können, z. B. § 106 
Zust. G. (Vertheilung der Erträge gemeinschaftlicher Jagdnutzung), §§ 75, 76 und 69, 82 bis 
84 G. v. 1/4. 1880 (Ersatzgeld und Pfändung bei Feldfreveln). 
Die vorstehende Zusammenstellung zeigt, daß die sog. „streitigen Verwaltungssachen“ 
des preußischen Rechts Angelegenheiten sehr verschiedener Art umfassen. Jedoch bilden die sub A 
aufgeführten Streitigkeiten über öffentliche Rechte und Pflichten den Hauptbestandtheil der 
streitigen Sachen. Im Uebrigen ist nur noch zu bemerken, daß das preußische Recht die sog. 
Enumerationsmethode hat, d. h. daß der Begriff und Umfang der Verwaltungsgerichtsbarkeit 
nicht durch ein allgemeines Princip festgesetzt ist, sondern die einzelnen vor die Verwaltungsge- 
richte gehörigen, dem Verwaltungsstreitverfahren unterliegenden Angelegenheiten im Gesetze 
ausdrücklich aufgeführt sind. 
Eine andere Auffassung als die im vorstehenden vertretene sucht Bornhak II S. 415f. 
zur Geltung zu bringen, indem er sagt, der Verwaltungsprozeß könne nicht wie der Civilprozeß 
die gleichzeitige Verwirklichung der Rechtsnorm und des aus derselben hergeleiteten subjektiven 
Rechts, sondern lediglich die Verwirklichung des objektiven Rechts zum Gegenstande haben, 
und es sei lediglich ein das Wesen der Sache nicht berührender Zufall, wenn der Verwaltungs- 
prozeß gleichzeitig ein subjektives Recht verwirkliche, während dies beim Civilprozesse eine innere 
Nothwendigkeit sei. Es könne zwar eine Gesetzgebung den Verwaltungsprozeß auf die Ver-
	        
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