Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

8 55. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. 215 
Das Protokoll muß die wesentlichen Hergänge der Verhandlung enthalten; dasselbe wird vom 
Vorsitzenden und vom Protokollführer unterzeichnet. 
Anlangend das Beweisverfahren, so kann nach § 56 L.V.G. das Gericht — ge- 
eignetenfalls schon vor Anberaumung der mündlichen Verhandlung — Untersuchungen an Ort 
und Stelle veranlassen, Zeugen und Sachverständige laden und eidlich vernehmen, überhaupt 
den angetretenen oder nach dem Ermessen des Gerichts erforderlichen Beweis in vollem Um- 
fange erheben. Die Beweisverhandlungen müssen unter Zuziehung eines vereidigten bezw. 
besonders zu verpflichtenden Protokollführers erfolgen; die Parteien sind zum Termine zu laden 
(§77 L.V. G.). 
In Bezug auf die Beweiserhebung haben die Verwaltungsgerichte alle Befugnisse, welche 
die Civilgerichte haben; sie können also namentlich Zeugen und Sachverständige eidlich ver- 
nehmen (L.V.G. 8 78). 
Die zulässigen Beweismittel sind: Augenschein, Zeugen, Sachverständige und Urkunden; 
dagegen ist der Parteieneid nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht zulässig (E. d. O.V.G. 
Bd. IX S. 86. Vgl. Stengel, Organisation S. 533). Die Frage der Vertheilung der 
Beweislast ist mit Rücksicht auf die freie Beweiswürdigung und die dem Gerichte gegebene 
Möglichkeit, selbst ergänzend Beweiserhebungen zu veranlassen, von geringem Belange. Jedoch 
gilt der Grundsatz, daß wer ein Recht geltend machen will, diejenigen Thatsachen beweisen muß, 
welche zur gesetzlichen Begründung desselben gehören (E. d. O. V.G. Bd. V S. 404 ff.). 
Der Abschluß des Verfahrens erfolgt durch Urtheil, sofern die Erledigung des Prozesses 
nicht durch Streitabstand, Vergleich oder Anerkenntniß seitens des Beklagten eingetreten ist. 
Das Urtheil kann auf ganze oder theilweise Zusprechung bezw. Abweisung der Klage 
lauten, ein bedingtes Endurtheil oder ein Zwischenurtheil sein. Ein Zwischenurtheil kann 
namentlich auch auf Grund des § 113 Abs. 4 L.V.G. (Entscheidung über die Einrede der Un- 
zuständigkeit) ergehen. 
Bei Fällung des Urtheils ist das Gericht an keine Beweisregeln gebunden; es hat viel- 
mehr nach seiner freien aus dem ganzen Inbegriffe der Verhandlungen und Beweise geschöpften 
Ueberzeugung zu entscheiden. Dies gilt auch, wenn eine Partei ausbleibt oder keine Erklärung 
abgiebt (L.V.G. § 79). 
Die Verkündigung der Entscheidung erfolgt in der Regel (nicht im Disciplinarver- 
fahren auf Entfernung aus dem Amt (Disciplinargesetz §§ 35, 38.) in öffentlicher Sitzung des 
Gerichts (vgl. auch R.Gew.O. 8 21). Eine mit Gründen versehene Ausfertigung der Ent- 
scheidung ist den Parteien, und sofern ein besonderer Kommissar zur Wahrnehmung des öffent- 
lichen Interesses bestellt war, gleichzeitig auch diesem zuzustellen. Die Zustellung genügt, wenn 
die Verkündigung in öffentlicher Sitzung nicht erfolgt ist (L. V.G. § 81). 
Ueber den Inhalt des Urtheils und seine Bestandtheile enthält das Gesetz keine Vor- 
schriften; es wird aber keinem Bedenken unterliegen, die der Natur der Sache entsprechenden 
Vorschriften des § 284 C. Pr. O. analog zur Anwendung zu bringen. Hinsichtlich der äußeren 
Form der Urtheile finden sich die bezüglichen Bestimmungen im Regulativ für den Geschäfts- 
gang des Oberverwaltungsgerichts v. 30/1. und 2/4. 1878 § 22, 23 und in den Regulativen 
für die Bezirksausschüsse v. 28/2. 1884 § 15, für die Kreisausschüsse vom gleichen Datum § 15. 
Bezüglich der Leitung des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung, des Schlusses 
und der Vertagung derselben kommen die für jedes gerichtliche Verfahren, insbesondere den 
Civilprozeß, geltenden Grundsätze analog zur Anwendung (L. V.G. 88 71 und 72). 
Bezüglich des Verfahrens in Disciplinarsachen bestimmt § 157 Nr. 2 L.V.G., daß 
die Bestimmungen des G. v. 21½/7. 1852, betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Be- 
amten nicht berührt werden, jedoch für das Verwaltungsstreitverfahren mit folgenden Maß- 
gaben Anwendung finden: die Entscheidung erfolgt auf Grund mündlicher Verhandlung; das 
Gutachten des Disciplinarhofs ist nicht einzuholen; das Disciplinarverfahren kann mit Rück-
	        
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