8 64. Die Staatsabgaben im Allgemeinen. 263
II. Was nun die bezüglich der öffentlichen Abgaben geltenden Vorschriften des preußischen
Staatsrechts anlangt, so enthält zunächst das A.L. R. II, 13 § 15 den nach den Grundsätzen des
modernen Staatsrechts übrigens selbstverständlichen Satz: „Das Recht zur Bestreitung der
Staatsbedürfnisse das Privatvermögen, die Personen, ihre Gewerbe, Produkte oder Konsumtion,
mit Abgaben zu belegen, ist ein Majestätsrecht“, d. h. also, nur der Staat (das Staatsober=
haupt) kann öffentliche Abgaben auflegen. Art. 100 V. U. bestimmt dann weiter „Steuern und.
Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, soweit sie in den Staatshaushaltsetat aufgenommen
oder durch besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben werden.“ Hiernach kann die Erhebung
von direkten oder indirekten Steuern für die Staatskasse von der Regierung nur auf Grund
eines formellen Gesetzes erfolgen, während die Erhebung von Kommunalabgaben auch ohne
formelles Gesetz möglich ist.
Bezüglich der Gebühren bestimmt endlich Art. 102 V. U., daß solche von Staats= oder-
Kommunalbeamten nur auf Grund des Gesetzes erhoben werden können.
Durch diese Vorschriften der Verf.-Urkunde ist also zum Ausdruck gebracht, daß die Er-
hebung öffentlicher Abgaben für den Staat in Zukunft nur auf Grund eines formellen Gesetzes
erfolgen kann. Zugleich wurde in Art. 109 V. U. bestimmt, daß die „bestehenden Steuern und
Abgaben forterhoben werden“ bis sie durch Gesetz abgeändert werden. Dadurch wurde den zur
Zeit des Erlasses der Verfassungs-Urkunde bestehenden, die rechtliche Grundlage für die Er-
hebung der Steuern bildenden Verordnungen die Eigenschaft von Gesetzen beigelegt.
Im Uebrigen bestimmte Art. 101 V.U.: „In Betreff der Steuern können Bevorzugungen
nicht eingeführt werden. Die bestehende Steuergesetzgebung wird einer Revision unterworfen
und dabei jede Bevorzugung abgeschafft."
Das in Abs. 2 Art. 101 V. U. enthaltene Programm hat natürlich eine weitere rechtliche
Bedeutung nicht; in Abs. 1 ist aber ein Verbot der Einführung von Steuerprivilegien enthalten.
Dieses Verbot bezog sich natürlich auf die in den durch Art. 109 V. U. aufrecht erhaltenen
Steuergesetzen sich findenden Privilegien nicht, sondern hatte nur Bedeutung für die Zukunft
in der Weise, daß durch einfache Gesetze Steuerbevorzugungen nicht geschaffen werden können.
Zweifelhaft ist aber der Inhalt des Verbots; offenbar sollten durch dasselbe die auf der alt-
ständischen Gliederung beruhenden Steuerfreiheiten einzelner Stände und ihres Besitzes, also
namentlich des Adels und des adeligen Besitzes beseitigt werden; ebenso werden Steuerbe-
freiungen einzelner Personen im Widerspruche mit diesem Verbote stehen. Dagegen ist die auf
sozialpolitischen Gründen beruhende geringere Heranziehung der arbeitenden Klassen zur Be-
steuerung und selbst deren völlige Entlastung von direkten Steuern durch Art. 101 nicht ver-
boten, da es sich dabei gar nicht um Steuerbevorzugungen im Sinne des Art. 101 handelt,
sondern um eine gerechte Vertheilung der Steuerlast nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit).
II. Die deutschen Einzelstaaten sind in Bezug auf das Besteuerungsrecht durch die
Reichsgesetzgebung in dreifacher Weise beschränkt: 1. Nach Art. 35 R.V. hat das Reich
ausschließlich die Gesetzgebung über das gesammte Zollwesen, über die Besteuerung des im
Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Branntweins und Bieres und aus
Rüben oder anderen inländischen Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, über den gegen-
seitigen Schutz der in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinter-
ziehungen, sowie über die Maßregeln, welche in den Zollausschlüssen zur Sicherung der gemein-
samen Zollgrenze erforderlich sind, und nach Art. 38 R.V. fließt der Ertrag der Zölle und der
anderen, in Art. 35 bezeichneten, der Reichsgesetzgebung unterliegenden Abgaben in die Reichskasse.
Die Einzelstaaten haben daher auf diesem Gebiete kein Gesetzgebungsrecht mehr, nur
die Erhebung und Verwaltung der Zölle und der erwähnten Verbrauchsabgaben ist ihnen gemäß
Art. 36 R.V. überlassen.
1) Das Einkommensteuergesetz v. 24/6. 1891 hat denn auch die Einkommen bis zu 900 Mark:
einschließlich von jeder Einkommensteuer völlig freigelassen.