Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

12 Erstes Buch: Geschichtliche Einleitung. II. Kapitel. 84. 
Während aber nun der Staat sich einerseits als moderner Beamtenstaat darstellte, blieb 
in den unteren Kreisen der ständische Feudalstaat des Mittelalters bestehen. Die Unfreiheit 
der Bauern, Gutsherrlichkeit und Gutsunterthänigkeit sind im preußischen Landrecht erhalten, 
obwohl im Uebrigen der Staat die Bauern gegen Willkür zu schützen suchte. Auch die 
Trennung der Geburtsstände ist in der schärfsten Weise zum Ausdruck gebracht und dabei die 
Konservirung des Adels als „des ersten Standes im Staate“ in den Vordergrund gestellt. 
Die Bauern sollen keine Rittergüter kaufen, weil sie nicht als Offiziere dienen können, die 
Edelleute keine Bauerngüter einziehen, weil sie dadurch die Zahl der Einwohner verringern; 
auch Bürger sollen keine adeligen Güter kaufen, weil sie dadurch nur gehindert werden, ihr 
Geld in Handel und Gewerben anzulegen. „Aber trotz dieser Mängel, sagt Schulze, das 
preuß. Staatsrecht, 2. Aufl. I, S. 75, hat dieses Gesetzbuch für das preußische, wie für das 
gesammte deutsche Staats= und Rechtsleben die segensreichsten Folgen gehabt. Zum ersten 
Male wurde hier der Staat als die alles überragende und beherrschende Persönlichkeit gesetz- 
lich anerkannt, ein Gedanke, der in dem Chaos reichsfürstlicher Patrimonialherrschaften mit 
vorwiegend privatrechtlichem Charakter fast ganz verloren gegangen war. Es war der un- 
staatlichen Patrimonialtheorie gegenüber von Werth, daß hier alle Befugnisse des Staats- 
oberhaupts aus den Zwecken des Staats, alle Rechte desselben aus seinen Pflichten hergeleitet 
werden, daß ganz im Sinne des großen Königs die Regentenstellung als die höchste Pflicht 
und der erhabenste Beruf aufgefaßt, daß der Begriff des Staatseigenthums und des Staats- 
dienstes in voller Klarheit hingestellt wurde."“ 
Auch ist es richtig, daß das preußische Landrecht wesentlich darauf hinwirkte, im preußi- 
schen Volke den Geist der Gesetzlichkeit groß zu ziehen und von der monarchischen Gewalt den 
Charakter des Willkürlichen und Wechselnden möglichst zu entfernen. Die Verleihung und 
Aufrechthaltung des Gesetzes wurde als die höchste Aufgabe des Monarchen betrachtet und in- 
soferne hat Friedrich II. die Grundlagen des Rechtsstaats gelegt, wenn er auch an eine Be- 
theiligung des Volkes an der Regierung des Staats bei den damaligen Verhältnissen nicht 
denken konnte. 
Nach dem Tode Friedrichs des Großen kam dessen Neffe Friedrich Wilhelm II. 
(1786—1797) zur Regierung, unter dem ebenfalls verschiedene Gebietserweiterungen statt- 
hatten, die jedoch von keiner Dauer waren. 1. Erwerb von Ansbach und Bayreuth (Bay- 
reuth war im J. 1769 nach dem Aussterben der markgräflichen Linie an Ansbach gefallen) 
durch Vertrag vom 2/2. 1791 mit Markgraf Alexander, der sein Gebiet gegen eine jährliche 
Leibrente an die Krone Preußen abtrat. 2. Die Erwerbungen aus der zweiten und dritten 
Theilung Polens (1793 und 1795) umfaßten die Woiwodschaften Posen, Gnesen und 
Kalisch, das Land Cujavien, Wielun, die Woiwodschaften Sieradz und Lenczyc, den größeren 
Theil der Woiwodschaft Plock, zusammen 1015 Quadratmeilen mit 1400 000 Einwohnern. 
Aus diesen Gebicten wurde die Provinz Südpreußen gebildet. Ebenso wurden aus dem 
Rest der Woiwodschaften Plock und Rava, den Woiwodschaften Masovien auf der linken 
Seite der Weichsel und der rechten Seite des Bugs mit Einschluß von Warschau, einem Theil 
der Woidwodschaft Krakau mit Einschluß des Herzogthums Severien, endlich die litthauischen 
Woiwodschaften Troki und Samogitien mit Ausnahme von Severien, das als Neuschlesien 
mit der Provinz Schlesien vereinigt wurde, die Provinz Neuostpreußen gebildet. Der 
gesammte Flächeninhalt des preuß. Staates betrug nach diesen Erwerbungen 5552 Quadrat- 
meilen. Von großem Werthe waren freilich diese Erwerbungen nicht, da die verwüsteten, auf 
niedriger Kulturstufe stehenden polnischen Gebiete fast mehr verschlangen, als sie einbrachten 
und sich wegen der fremdartigen Nationalität nur äußerlich in den Staatsverband einfügten. 
Im Innern des Staats war irgend ein Fortschritt nicht wahrzunehmen, im Gegentheil 
gerieth die nicht mehr von Friedrich dem Großen geleitete „Staatsmaschine“ allenthalben in 
Unordnung. Als Friedrich Wilhelm II., der auch in den Kriegen mit Frankreich weder Ruhm
	        
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