§ 70. Die Behörden d. Finanzverwaltung. Erhebung, Einziehung u. Verjährung der öff. Abgaben. 283
sicht handhaben, die wichtigeren organisatorischen und Fahrplanangelegenheiten und die Dis-
ciplinarsachen bearbeiten.
Um die Interessen der beim Eisenbahnbetriebe besonders betheiligten Bevölkerungsklassen
gegenüber der Eisenbahnverwaltung zur Geltung zu bringen, schuf der M. E. v. 27/6. 1878
sog. Eisenbahn beiräthet), deren Verfassung auf dem G. v. 1/6. 1882 (G.S. S. 313)
in Verbindung mit dem E. v. 20/12. 1882 (M. Bl. d. V. 1883 S. 14) und der V. v. 9/12.1885
(G. . S. 355) beruht. Danach steht jeder Eisenbahndirektion ein Bezirkseisenbahnrath
(der zu Köln ist gemeinschaftlich für die Direktionen zu Köln und Elberfeld) und dem Ministerium
ein Landeseisenbahnrath zur Seite zur Vertretung der beim Eisenbahntransporte be-
theiligten Personen. Die Bezirkseisenbahnräthe gehen aus der Wahl von verschiedenen Inter-
essenvertretungen hervor, wie Handelskammern, kaufmännischen Korporationen, landwirth-
schaftlichen Provinzialvereinen u. s. w., die auf je drei Jahre eine entsprechende Anzahl von
Mitgliedern und Stellvertretern wählen. Das Wahlrecht kann auch außerpreußischen Verbänden
Deutschlands beigelegt werden. Von den 40 Mitgliedern des Landeseisenbahnraths, die ebenfalls
auf drei Jahre bestellt werden, berufen die Minister für Landwirthschaft, für Handel, für öffentliche
Arbeiten und für Finanzen 10, die übrigen 30 werden nach einem durch die V. v. 9/12. 1885
festgestellten Vertheilungsplane von den Bezirkseisenbahnräthen gewählt. Die berufenen Mit-
glieder dürfen nicht unmittelbar Staatsbeamte sein. Den Vorsitzenden des Landeseisenbahn-
raths und dessen Stellvertreter ernennt der König.
IV. Erlaß der öffentlichen Abgaben?). Wenn durch Gesetz die Regierung (der
Finanzminister oder sonst eine Behörde) zum Erlasse oder zur Ermäßigung öffentlicher, durch
Gesetz festgestellter Abgaben ermächtigt ist, vgl. z. B. §§ 64, 65 Einkommensteuer-G. v. 24/6.
1891, 8§§ 9 ff. des Hausirgewerbesteuer-G. v. 3/7. 1876 (G.S. S. 247), so handelt die Re-
gierung, indem sie im einzelnen Falle die Steuer erläßt oder ermäßigt, einfach auf Grund der
ihr durch Gesetz ertheilten speziellen Vollmacht. Streitig ist es dagegen, ob abgesehen von einer
solchen gesetzlichen Delegation der König das Recht des Steuererlasses habe. Da die Regierung
an und für sich die Pflicht hat, die auf Gesetz beruhenden öffentlichen Abgaben zu erheben, wird
von Einigen (Bornhak, Rönne, G. Meyer, Joöl) behauptet, daß ein einseitiges Steuer-
erlaßrecht des Königs von Preußen nicht existire, sondern als integrirender Bestandtheil der gesetz-
gebenden Gewalt nur mit Zustimmung der Volksvertretung ausgeübt werden könnte; nur soweit
eine Stempelsteuer materiell Gebühr mit Strascharakter sei, lasse sich eine Befugniß des Königs
zum Erlasse aus dem Begnadigungsrechte herleiten. Diese Ansicht ist jedoch wie Laband a. a. O.
in zutreffender Weise dargelegt hat, unrichtig. Der König von Preußen hat das mit dem Be-
gnadigungsrecht auf gleiche Stufe zu stellende Recht, Steuern und öffentliche Abgaben zu er-
lassen, auch ohne daß er hiezu jeweils ausdrücklich durch Gesetz ermächtigt ist. Daß der König
vor Einführung der Verfassung auch in Steuer= und Gebührensachen das unbeschränkte Gnaden-
recht gehabt und ausgeübt hat, ist zweifellos; es ist aber dieses Recht auch durch die Verfassungs-
urkunde nicht aufgehoben worden. Namentlich kann man sich gegen das Fortbestehen dieses Rechts
nicht auf Art. 62 V. U. berufen, wornach die gesetzgebende Gewalt vom Könige nur gemein-
schaftlich mit den Häusern des Landtags ausgeübt werden kann; diese Bezugnahme wäre nur
zutreffend, wenn das Recht des Steuererlasses als eine Form des Dispensationsrechts zu be-
trachten wäre, da der König nicht das Recht hat, einseitig von der Befolgung von Gesetzen zu
r * d. Leyen, Art. Eisenbahnbeiräthe in Stengel's Wörterbuch des Verwalt.-Rechts,
„S.
2) Mnne a. a. O., IV, S. 744 u. I, S. 152. — Laband, das Gnadenrecht in Finanz-
sachen nach preuß. Recht im Archiv f. öffentl. Recht, VII, S. 169 ff. — Josl, die justifizirenden
Kabinets-Ordres in Hirth's Annalen 1888, S. 805 ff. — Josl, der gnadenweise Erlaß von Steuern
und Stempeln; ebendaselbst 1891 S. 417 ff. — Bornhak, das Recht des Königs zum Steuererlaß
in Preußen im Archiv f. öffentl. Recht, VI, S. 311 ff. — G. Meyer, die Verhandlungen des preuß.
Abg.H. über den Erlaß von Stempelsteuern. Neue Heidelberger Jahrbücher, Bd. I, S. 336 ff.