290 Viertes Buch: Die Finanzverwaltung. III. Kapitel. § 72.
standekammen der Gesetze überhaupt. Hervorzuheben ist jedoch, daß nach Art. 62 Abs. 2 V. U.
Staatshaushaltsetats zuerst der zweiten Kammer vorgelegt werden müssen und daß dieselben
vom Herrenhause nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden dürfen. Aus dem
Zwecke dieser Bestimmung folgt auch mit Nothwendigkeit, daß das Herrenhaus nur über den
Etat, wie er durch die Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses gestaltet wurdes, Beschluß
assen kann.
| Nach der Einbringung des Entwurfs des Staatshaushaltsgesetzes und des demselben
als Anlage beigefügten Etats im Abgeordnetenhause wählt dasselbe eine Kommission zur Prüf-
ung des Etats (§ 26 d. Geschäfts-O.); außerdem kann auch der Präsident mit Genehmigung
des Hauses Kommissarien ernennen, welche beauftragt werden, über einzelne Abschnitte des
Etats Informationen einzuziehen, und zu diesem Behufe nöthigenfalls mit Vertretern der
Staatsregierung zu verhandeln und dem Hause Bericht zu erstatten. Im Uebrigen verhandelt
das Abgeordnetenhaus über den Entwurf des Staatshaushaltsetats ebenso wie über jeden
anderen von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf in erster, zweiter und dritter Berathung
im Plenum nach Maßgabe der Geschäftsordnung; dabei können in jedem Stadium der Be-
rathung einzelne Abschnitte des Etats an die Budgetkommission zur Vorberathung verwiesen
werden.
Die Beschlußfassung im Plenum erfolgt in der Weise, daß über jeden einzelnen Posten
des Hauptetats und der einzelnen Spezialetats abgestimmt wird, sodann wird über den Etat
im Ganzen und das Staatshaushaltsgesetz Beschluß gefaßt. Der vom Abgeordnetenhause an-
genommene Entwurf des Staatshaushaltsgesetzes wird mit dem Hauptetat und den Spezial-
etats dem Herrenhaus übersendet, welches denselben ebenfalls durch eine Kommission prüfen
läßt und dann nach Maßgabe des Art. 62 Abs. 3 darüber Beschluß zu fassen hat. Ist das
Etatsgesetz sammt Etat im Herrenhause angenommen worden und die Sanktion des Königs
erfolgt, so wird das Etatsgesetz mit dem ihm als Anlage beigefügten Staatshaushaltsetat im
Gesetzblatte verkündigt. Veröffentlich wird übrigens nur der Hauptetat, nicht die Spezialetats,
obwohl dieselben ebenso für die Verwaltung bindend sind, wie der Hauptetat.
Das Gesetz „betr. die Feststellung des Staatshaushalts“ hat an und für sich nichts
weiter zu enthalten, als daß der dem Gesetze beigefügte Etat in Einnahme und in Ausgabe auf
so und so viel festgestellt wird. Selbstverständlicher Weise können aber dieser Feststellung noch
weitere Bestimmungen, wie z. B. die Ermächtigung zur Aufnahme einer Anleihe, oder die Be-
stimmungen über die Einführung einer neuen Steuer oder die Aufhebung einer bestehenden
Steuer u. dgl. beigefügt werden. Ein regelmäßig vorkommender Bestandtheil des Inhalts des
Etatsgesetzes ist seit 1868 die Ermächtigung des Finanzministers zur Ausgabe von Schatzan-
weisungen. Alle derartigen Bestimmungen sind aber kein integrirender Bestandtheil des Etats-
gesetzes und werden daher von der noch zu erörternden Streitfrage über das Wesen des Etats-
gesetzes nicht berührt.
Nach Art. 99 V. U. müssen alle Einnahmen und Ausgaben des Staats für jedes Jahr
im Voraus veranschlagt werden; daraus folgt, daß der Etat durch ein einziges Gesetz fest-
gestellt werden soll und es daher nicht zulässig ist ctwa die Einnahmen und dann die Ausgaben
oder die ordentlichen Ausgaben und dann die außerordentlichen Ausgaben je durch ein beson-
deres Gesetz festzustellen. Dagegen ist es nicht ausgeschlossen, daß für unvorhergesehene Aus-
gaben ein Nachtragsetat festgestellt wird. Aus der Vorschrift, daß alle Einnahmen und Aus-
gaben veranschlagt werden müssen, ergiebt sich ferner, daß der Etat in der Form des Brutto-
budgets aufgestellt werden muß, d. h. daß das Staatseinkommen stets mit seinem Bruttoertrage
aufzuführen ist, die Betriebs= und Erhebungskosten aber in Ausgabe zu stellen sind.
Damit der Etat seinen Zweck, die Grundlage für die ordnungsmäßige Führung der
Finanzverwaltung zu sein, bilden kann, ist nothwendig, daß soferne die Abgleichung der Ein-
nahmen und Ausgaben einen Fehlbetrag ergiebt, bei Feststellung des Etats für die Deckung