Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

8 72. Das Budgetrecht des Landtags. 291 
des Defizits Sorge getragen ist. Es kann dies durch Erhöhung bestehender oder Einführung 
neuer Steuern, Veräußerung von Staatsgut oder Aufnahme einer Anleihe geschehen. Die be- 
treffenden Maßregeln können äußerlich mit dem Etatsgesetze verbunden oder gesondert getroffen 
sein, jedenfalls stehen sie, wie schon oben hervorgehoben, nicht unter den Grundsätzen des 
Etatsrechts. 
Der Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben hat nach Art. 99 für jedes Jahr zu er- 
folgen und ist deshalb der Etat jährlich, also je für eine Finanzperiode, die nach dem G. v. 
29/6. 1876 (G.S. S. 177) mit dem 1. April beginnt und am 31. März endigt, festzustellen. 
Unstatthaft ist es daher den Etat für mehrere Jahre durch ein Gesetz zu regeln, dagegen würde 
es nicht im Widerspruche mit der Verfassung stehen, in einer Sitzungsperiode des Landtags 
die Etats der nächstfolgenden beiden Jahre in zwei besonderen Etats-Gesetzen festzustellen. Da 
der Etat ein Voranschlag für je eine einjährige Finanzperiode ist, verliert das Etatsgesetz mit 
Ablauf des Jahres für das es gegeben ist seine Kraft; die Regierung kann sich daher später 
nicht mehr darauf berufen, noch ist sie durch dasselbe gebunden; eine Ausnahme ist nur dann 
gegeben, wenn bei einzelnen Positionen ausdrücklich beigefügt ist, daß dieselben auf spätere 
Finanzperioden übertragbar sind. 
III. Was das Wesen und die rechtliche Bedeutung des Etatsgesetzes anbetrifft, so gehen 
die Ansichten sehr auseinander. Nach der einen Ansicht wird es als ein materielles Gesetz in 
dem Sinne betrachtet, daß es die alleinige Vollmacht der Regierung enthält, Verfügungen über 
die Staatsmittel zu treffen, Einnahmen irgend welcher Art zu erheben, Ausgaben irgend wel- 
cher Art zu leisten. Darnach würde die Regierung auch nicht befugt sein, ohne Etatsgesetz die- 
jenigen Einnahmen zu erheben, die z. B. in den Steuergesetzen vorgeschrieben sind; ebenso- 
wenig könnte sie Ausgaben leisten, welche, wie die Krondotation, die Besoldung der gesetzlich 
angestellten Beamten, die Zinsen der Staatsschuld auf gesetzlichen Titeln berufen. Nach der 
anderen Ansicht ist das Etatsgesetz nichts als der in der Form des Gesetzes festgestellte Vor- 
anschlag und enthält daher nur insoweit die Vollmacht der Regierung zur Verfügung über die 
Staatsmittel, als sich diese Vollmacht nicht auf andere Gesetze oder Rechtstitel zurück- 
führen läßt. 
Zur Lösung dieser Streitfrage ist vor Allem nothwendig von denjenigen Bestimmungen 
abzusehen, welche mit dem Etatsgesetz verbunden sein können, aber dessen wesentlichen und 
nothwendigen Inhalt nicht bilden. Der wesentliche auch im Wortlaute des Etatsgesetzes nach 
preußischem Rechte zum Ausdrucke kommende Inhalt ist aber weiter nichts als die Feststellung 
der Einnahmen und Ausgaben des Staates. Während nach Art. 111 der belgischen Verfass- 
ung die Steuern jährlich vom Parlamente bewilligt werden müssen, wenn die Regierung er- 
mächtigt sein soll, dieselben einzuziehen und auch sdem bayerischen und württembergischen Land- 
tage ein Steuerbewilligungsrecht für jede Finanzperiode zusteht, hat der preußische Landtag 
ein Einnahmebewilligungsrecht nicht. Das Recht der Staatsregierung die Steuern einzuziehen, 
und die sonstigen auf irgend welchem Rechtstitel beruhenden Einnahmen zu erheben beruht 
nicht auf dem Etat, sondern auf den Steuergesetzen, sonstigen Gesetzen, Verträgen u. s. w. 
Was die Ausgaben anlangt, so hat allerdings der preußische Landtag das Ausgaben- 
bewilligungsrecht, aber keineswegs im Sinne der belgischen Verfassung, Art. 115, wornach 
die Regierung keine Ausgabe machen darf, zu der sie nicht durch das Etatsgesetz ermächtigt ist. 
Vielmehr bemißt sich das Recht bezw. die Pflicht der Regierung Ausgaben Namens des Staates 
zu machen, zunächst darnach ob der Staat aus öffentlich-rechtlichem oder privatrechtlichem Titel 
verpflichtet ist die betr. Leistung zu machen. Die Aufnahme der betreffenden Posten in den Etat 
hat nur die Bedeutung der Anerkennung der schon bestehenden rechtlichen Verpflichtung; die 
Nichtaufnahme aber würde aber nur dann rechtliche Bedeutung haben, wenn dieselbe in der 
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